Fratze - Roman
Spiegelbilder schmieren wellig über die von Generationen von Zigarrenrauchern gebräunte Mahagonivertäfelung. Ich folge der Prinzessin Brandy Alexander, während Alfas Stimme die blau kostümierte Aufmerksamkeit der Maklerin mit Fragen nach dem Einfallswinkel der Morgensonne im Esszimmer in Anspruch nimmt, dann mit der Frage, ob die Provinzregierung einen privaten Hubschrauberlandeplatz hinter dem Swimmingpool genehmigen wird.
Auf die Treppe zu bewegt sich der exquisite Rücken der Prinzessin Brandy, eine Silberfuchsjacke bedeckt ihre Schultern, ein meterlanger Seidenbrokatschal ist um die wogenden Massen ihrer rotbraunen Brandy-Alexander-Haare geschlungen. Die Stimme der Queen Supreme und der Hauch von L’Air du Temps sind die unsichtbare Schleppe hinter allem, was die Welt von Brandy Alexander ausmacht.
Das wogende rotbraune Haar, das im Innern ihres Brokatseidenschals aufgetürmt ist, erinnert mich an einen Kleiemuffin. An einen großen runden Kirschkuchen. An einen erdbeerrotbraunen Atompilz, der über einem pazifischen Atoll aufsteigt.
Die Prinzessinnenfüße stecken in zwei tellereisenartigen Schuhen aus Goldlamé, mit kleinen Goldriemchen und Goldkettchen dran. Es sind diese eingezwängten, gespreizten Goldfüße auf Pfennigabsätzen, die jetzt die erste der ungefähr dreihundert Stufen von der Vorhalle in den ersten Stock besteigen. Dann erklimmt sie die nächste Stufe und die nächste, bis sie mit allem, was zu ihr gehört, weit genug über mir ist, dass sie einen Blick zurück riskieren kann. Erst dann dreht sie den ganzen
großen Erdbeerkuchen ihres Kopfes zu mir herum. Die großen Brandy-Alexander-Torpedobrüste im Seitenprofil, die wortlose Schönheit des professionellen Mundes en face.
»Die Besitzerin dieses Hauses«, sagt Brandy, »ist sehr alt, sie nimmt Hormonpräparate und wohnt hier noch.«
Der Teppich ist so dick unter meinen Füßen, als würde ich über lose Erde klettern. Einen Schritt nach dem anderen, rutschend und unsicher. Wir, Brandy und Alfa und ich, wir sprechen jetzt schon so lange Englisch als Zweitsprache, dass wir es als unsere erste verlernt haben.
Ich habe keine Muttersprache.
Wir sind auf Augenhöhe mit den schmutzigen Stei - nen eines dunklen Kronleuchters. Der graue Marmorfußboden der Vorhalle jenseits des Geländers sieht so aus, als wären wir durch die Wolken nach oben gestiegen. Schritt für Schritt. In weiter Ferne befasst sich Alfas anspruchsvolle Unterhaltung mit Weinkellern und geeigneten Zwingern für die russischen Wolfshunde. Alfas unablässiges Verlangen nach der Aufmerksamkeit der Maklerin dringt so schwach zu uns wie eine aus dem Weltraum zurückgestrahlte Radiosendung mit Höreranrufen.
»… die Prinzessin Brandy Alexander«, schweben Alfas warme, dunkle Worte nach oben, »sie ist imstande, selbst in vollbesetzten Restaurants ihre Kleider abzuwerfen und zu schreien wie die wilden Pferde …«
Die Stimme der Queen Supreme und der Hauch von L’Air du Temps sagen: »Beim nächsten Haus«, sagen ihre Plumbagolippen, »wird Alfa der Stumme sein.«
»… Ihre Brüste«, teilt Alfa der Maklerin mit, »Sie haben zwei von den Brüsten einer jungen Frau …«
Wir haben keine einzige Muttersprache mehr.
Springt zu uns in den ersten Stock.
Springt dahin, wo jetzt alles möglich ist.
Springt, nachdem die Maklerin von den blauen Augen des Signore Alfa Romeo gefangen ist, zu dem Moment, da der eigentliche Beschiss beginnt. Das große Schlafzimmer befindet sich immer auf der Seite des Flurs, wo man die beste Aussicht hat. Dieses große Schlafzimmer ist mit rosa Spiegeln ausgekleidet, alle Wände, sogar die Decke. Prinzessin Brandy und ich sind überall, auf jeder Oberfläche gespiegelt. Man sieht uns auf dem Toilettentisch sitzen, Brandy auf der einen Seite des Waschbeckens, ich auf der anderen Seite.
Eine von uns sitzt zu beiden Seiten aller Waschbecken in allen Spiegeln. So viele Brandy Alexanders, dass man sie nicht mehr zählen kann, und sie alle sind meine Chefin. Alle öffnen sie ihre weißen Kalbslederunterarmtaschen, und Hunderte dieser großen ringbesetzten Brandy-Alexander-Hände ziehen neue Exemplare des Handbuchs der Arzneimittel mit seinem roten Einband hervor, dick wie eine Bibel.
Hunderte von Burning-Blueberry-Lidschattenaugen blicken mich aus allen Richtungen an.
»Du weißt, wie es geht«, geben Hunderte von Plumbagomündern Anweisung. Die großen Hände beginnen, Schubladen und Schranktüren aufzuziehen. »Merk dir, wo du die Sachen
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