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Frau Holle ist tot

Frau Holle ist tot

Titel: Frau Holle ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Stark
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allein. Und
seit einem Jahr kommt ein junger Mann zu Besuch.«
    »Der Mann aus dem Baumhaus?«
    Jetzt musste Frau Russmann kichern. »Ich glaube nicht,
dass es der Frau Doktor recht gewesen wäre, wenn der junge Mann im Baumhaus
übernachtet hätte. Dann hätte sie ja gar nichts von dem Burschen gehabt.«
    »Kennen Sie seinen Namen?«
    »Nein, sie hat mir den Namen nicht gesagt. Und ich hab
nicht gefragt. Man will schließlich nicht als neugierig gelten.«
    »War der junge Mann, der die Frau Doktor seit einem
Jahr besucht, die letzten Tage auch bei ihr?«
    Die Alte nickte eifrig. »Der kam in letzter Zeit fast
jeden Tag.« Plötzlich hielt sie inne. »Aber ob er am Donnerstag oder Freitag
zuletzt bei ihr war, das weiß ich gar nicht.« Frau Russmann nahm einen weiteren
tiefen Schluck aus dem Weinglas. Ihre Zunge wurde schwer.
    »Und ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?«, fragte
Winkler.
    »Anfangs der Woche war noch ein weiteres Mädchen bei
Frau Holler zu Besuch, den genauen Tag kann ich Ihnen aber nicht mehr sagen.«
    »Was war denn so besonders an dem Besuch?«, wollte
Mayfeld wissen. »Frau Holler bekam doch andauernd Besuch von Kindern oder
Jugendlichen, die bei ihr Therapie machten.«
    Frau Russmann schüttelte den Kopf, als könne sie so
viel Unverstand nicht fassen. »Aber doch nicht während der Ferien. Wir haben
Herbstferien. Da kommen keine Patienten zu Frau Holler.« Genaueres zu der
jungen Besucherin konnte Frau Russmann nicht sagen.
    »Ich glaube, ich brauche jetzt ein kleines
Nickerchen«, bemerkte sie abschließend.
    Weitere Fragen hatten wohl keinen Sinn.
    Ein paar Stunden später war Mayfeld im Keller des
Weinguts Leberlein bei seinem Wein. Seit Jahren bewirtschaftete er einige
Morgen Weinberge im Rauenthaler Rothenberg, die Julia geerbt hatte. Den Wein
baute er im Weingut der Schwiegereltern aus.
    Von der Decke des alten Gewölbes hing eine matte
Glühbirne herab und warf ihr warmes Licht auf die alten Weinfässer. In einer
anderen Ecke des Kellers hörte er seinen Schwiegervater Jakob hantieren.
Mayfeld stellte die Holzleiter an ein Halbstück und stieg ein paar Sprossen
hinauf. Er schob den Probierschlauch durch das Spundloch und stieg die Leiter
wieder hinunter, saugte den Wein an und füllte zwei Glaskolben, die auf dem
kleinen Tischchen vor dem Halbstück bereitstanden. Den Inhalt des ersten Glases
schüttete er durch das Loch an der oberen Wölbung des Fasses wieder zurück.
    Zuerst bestimmte er mit einem Thermometer die
Temperatur des gärenden Weins im zweiten Glas, achtzehn Grad Celsius. Dann ließ
er die spindelförmige Oechslewaage in den Messzylinder gleiten und las die
Oechslegrade ab, zwanzig Grad Oechsle. Er notierte die Werte mit Kreide auf dem
Holzfass. Zum Schluss trank er die weißtrübe Flüssigkeit in bedächtigen
Schlucken.
    Das Ritual wiederholte er bei den beiden anderen
Halbstück-Fässern. Mayfeld war zufrieden, der Federweiße war auf einem guten
Weg. Heute Nacht würde es kalt werden. Sämtliche Öffnungen, Fenster und
Luftschächte des Weinkellers waren geöffnet, um die Gärungsgase abzuleiten. Das
sollte reichen, um die Fässer abzukühlen. Die Hefepilze wollten es weder zu
warm noch zu kalt haben. Er stieg die Treppe aus dem stillen Keller hinauf und
ging in die Küche des Weinguts.
    Dort bereiteten sich seine Frau Julia und Hilde, die
Hausherrin und Mayfelds Schwiegermutter, auf den Ansturm der Gäste vor. Seit
dem Wochenende hatte die Straußwirtschaft der Leberleins geöffnet. Julias
Kochkünste waren weit über Kiedrich hinaus bekannt.
    »Kommst du, um uns zu helfen?«, begrüßte ihn seine
Frau lachend.
    Hilde nickte ihm flüchtig zu und rührte weiter in
einem Topf auf dem Herd.
    »Ich habe einen Mord in Martinsthal«, sagte Mayfeld
und setzte sich an den großen Holztisch in der Mitte des Raums.
    Wenn ihn ein Fall beschäftigte, redete er gern mit
Julia darüber. Das half ihm, sein seelisches Gleichgewicht zu bewahren oder
wiederzugewinnen, und manchmal half ihr unbefangener Blick bei der Lösung des
Falls.
    Auf dem Tisch lagen Forellenfilets, Blutwürste und
parierte Hasenrücken auf Platten, gewürfeltes Schmorgemüse, Rote Bete, gekochte
Kartoffeln, Feldsalat und Apfelstücke in Schüsseln. Alle Zutaten warteten auf
ihre weitere Verarbeitung. Julia hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, setzte
sich zu ihm und gab ihm ein Messer und ein Holzbrett.
    »Schneide die Kartoffeln in feine Scheiben und
verteile sie fächerförmig auf die Teller«, wies sie

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