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Frau Holle ist tot

Frau Holle ist tot

Titel: Frau Holle ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Stark
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war inzwischen verschwunden und hatte matschige braune Wiesen
     hinterlassen, doch die Eisheiligen standen noch bevor. Erfahrungsgemäß sackten
     die Temperaturen in diesen Tagen erneut in den Keller. Fischbach nahm sich vor,
     darauf zu achten, dass Sigrid seine langen Unterhosen nicht allzu weit in die
     hintersten Ecken des Kleiderschrankes verbannte.
    Links vor ihm reckte sich der Turm der St. Severinus Kirche in
     den klaren Nachthimmel. Die Ziegelsteine glänzten feucht. Fischbach schluckte
     schwer. Der Anblick der Kirche rief in ihm regelmäßig schlimme Erinnerungen
     wach. Er, in der ersten Reihe auf der Kirchenbank, ohne Tränen, da er bereits
     so viele vergossen hatte. Vor sich die beiden Särge. Trauermusik, Trauerrede,
     Trauergäste, der Gang zum Friedhof, die auf das Holz herabprasselnde Erde. Der
     Grabstein, auf dem noch Platz für seinen Namen war.
    In den Monaten danach hatte er alles darangesetzt, diese Lücke auf
     dem Stein zu füllen. Regelmäßig zu viel Alkohol und andere Drogen konsumiert,
     gerne auch in Kombination. Erst als Sigrid in seine Welt eingedrungen war, war
     er von der Schwelle zum Tod zurückgekehrt in ein zufriedenes Leben. Inzwischen
     hatte er gelernt, mit der Vergangenheit umzugehen. Doch er hatte es bisher
     nicht übers Herz gebracht, die Kirche ein weiteres Mal zu betreten.
    Er spürte ein nervöses Grummeln in seiner Magengrube. In Kronenburg
     würden die Angehörigen des Mordopfers nun das Gleiche durchmachen müssen wie er
     vor Jahren hier in Euskirchen. Wurde jemand so unerwartet abgerufen, war das
     immer ein besonderer Schock, der einem den Boden unter den Füßen wegziehen
     konnte.
    Auf Höhe des Pfarrhauses, von den K-Heroes scherzhaft als »Vatikan«
     bezeichnet, blieb er stehen. Er stemmte die Arme in die Hüften und keuchte. Er
     wuchtete definitiv zu viel Körpergewicht auf die Waage. Seine geliebte K-Heroes-Lederjacke
     spannte bedenklich über seinem Bauch. Er musste abnehmen, das war ihm klar. Oft
     genug hatte er in den letzten Monaten damit begonnen. Doch Sigrid torpedierte
     dieses Unterfangen kontinuierlich. Selbst etwas rundlich, störte sie sich nicht
     an seinen Pfunden und liebte es, ihn mit kulinarischen Köstlichkeiten zu
     verwöhnen.
    Fischbach schmunzelte. Eigentlich konnte er sich ja glücklich
     schätzen mit einer Frau an der Seite, die keinen gestählten Männerkörper
     erwartete. Er kannte Ehen, die an Bierbäuchen gescheitert waren. Doch leider
     fühlte er selbst sich in seinem Körper unwohl.
    Die Haustür des Pfarrhauses wurde geöffnet, und ein langer, dürrer
     Mann trat heraus. Seine riesige, knorrige Nase warf im Licht der
     Außenbeleuchtung einen markanten Schatten auf das Pflaster der Einfahrt.
    »Willst du hier Wurzeln schlagen? Ich denke, du hast es eilig.
     Arbeit und Fleiß, das sind die Flügel, sie führen über Strom und Hügel.«
    Pfarrer Klaus Levknecht, seines Zeichens ebenfalls Mitglied der K-Heroes,
     warf gerne mit Aphorismen um sich.
    »Nu dohn ens nett esu hüü, ömme schön peu à peu«, sagte Fischbach
     und lachte. Er gab Levknecht die Hand. »Danke, dass du Zeit für mich hast.«
    Levknecht winkte ab. »Ich wäre sowieso gleich zu euch
     runtergekommen. Die liebe alte Beißel liegt im Sterben, sie hat mich
     aufgehalten. Aber jetzt lass uns losfahren.« Er warf Fischbach einen Helm zu
     und stieg auf seine nagelneue Yamaha Vmax.
    Fischbach durfte zum ersten Mal auf dem »Heiligen Stuhl« mitfahren.
     Levknecht war in solchen Dingen eigen. Ein Sozius störte nur, das war seine
     klare und unumstößliche Ansicht. Dass er sozusagen ein drittes Rad an der
     Maschine war, pflegte er außerdem zu verdeutlichen.
    Aber heute ging es nicht anders.
    Fischbach streifte sich den Helm über und nahm auf der winzigen
     Soziusbank hinter Levknecht Platz. Die Knie hingen ihm fast an den Wangen, als
     er es endlich geschafft hatte, die Füße auf die Rasten zu stellen. Mangels
     Haltebügel umschlang er Levknechts Taille mit den Armen.
    »Komm mir nicht zu nahe«, rief Levknecht und drehte lachend den
     Zündschlüssel. Heiser erwachte der Motor unter ihnen, und einen Augenblick
     später ging es mit einem durchdrehenden Hinterrad und röhrendem Auspuff
     Richtung Kronenburg.
    Der Höllenritt hatte begonnen.
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