Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)
sagen.
»Vergiftungserscheinungen …«
»Möglicherweise das neue Mittel …«
»Beschuldigungen? Aber gnädige Frau … normal für ein Fieberdelirium …«
»… ihn deswegen nicht einweisen lassen …«
Einweisen! Sie wollen ihn wieder ins Krankenhaus bringen.
Als Ann die Ärzte hinausbegleitet hat, braust er gegen sie auf. Sie versucht ihn zu beruhigen. Sie versichert ihm, er müsse nicht zurück ins Krankenhaus. Dann muss er sich übergeben. Sie schüttelt den Kopf über die Schweinerei, die er anrichtet. Sie sagt, es käme von dem neuen Präparat.
Da ist sie nun, endlich. Er sieht sie über den kleinen Weg näher kommen, mit einem Tablett. Ihr Gesicht ist erhitzt, Strähnen haben sich aus ihrem Knoten gelöst. Es ist irgendwas. Was ist das bloß an ihr, was nicht stimmt, denkt er. Es stimmt etwas nicht, aber was?
»Wo hast du denn gesteckt?«, sagt er. »Ich warte schon eine Ewigkeit.«
Als sie an seinem Rollstuhl vorbeikommt, greift er ihr unter den Rock. Seine Hand tastet nach ihrem Hintern, unter dem kühlen geblümten Stoff, sein Blick ist auf ihre Brüste geheftet.
Sie reißt sich los. Sie keucht. Ihr Mund ist ein fester Streifen.
»Christiaan!«, weint sie beinahe. »Du hast versprochen, mich zu achten.«
Er grinst. Er nimmt das Tablett entgegen.
»Das werden wir noch sehen.«
Wer immer
unendlich glücklich
sein mag – Ann ist es jedenfalls nicht.
Einen guten Monat später wird Christiaan Mansborg in die Nervenheilanstalt Willem Arntzshoeve in Den Dolder eingewiesen. Die Aktion muss sorgfältig vorbereitet gewesen sein. Annetje wusste ja genau, wie die Prozedur vonstattenging. Sie hatte es alles schon einmal bei der Frau des alten Oud mitgemacht, die, als sie erst einmal in Santpoort eingewiesen worden war, dort sehr zufrieden war und nie wieder einen Fuß in ihr eigenes Haus setzte. Annetje hatte sich der Unterstützung von Doktor Wildvanck versichert. Man kann sich also fragen, warum sie noch bis Mitte Juli gewartet hat.
Der
Soester Courant
gibt uns Antwort. Doktor Wildvanck war, wie aus einer Anzeige hervorgeht, von Ende Juni bis Mitte Juli im Urlaub.
Nur
eine
entscheidende Frage kann noch gestellt werden. Hat Annetje gewusst, dass die Behandlungsmethoden der vorangegangenen Jahre tiefgreifend verändert worden waren? Dass Christiaan kein friedliches Pflanzenleben in einem sonnigen Sanatorium erwartete, sondern eine Hölle auf Erden; dass Patienten zwangsernährt wurden, was sie ihre Zähne kosten konnte; dass sie in eine Zwangsjacke gesteckt wurden, wenn sie sich erregten – oder rasend wurden; dass ihnenbei den geringsten Anzeichen von Renitenz die Isolierzelle drohte und ansonsten eben Elektroschocks, die im günstigsten Fall ein Loch ins Gedächtnis schlugen?
Ein Loch im Gedächtnis, das ihr im Übrigen gut zupasskam. Das – wenn es nach ihr ging – unbedingt bleiben musste. Koste es, was es wolle.
Rückkehr nach Vosseveld
Die Tatsachen standen jetzt fest. Oma Annetje hatte einen Anschlag auf Großvaters Leben verübt, und der war misslungen. Sie hat es noch mal versucht, und noch einmal. Als auch diese Versuche misslangen, hat sie ihn, krank wie er war, im Mai für geisteskrank erklären und entmündigen lassen wollen. Auch das misslang beim ersten Versuch.
Wollte sie noch einen weiteren Versuch wagen, dann musste sie besser gewappnet sein. Eine Zwangseinweisung verlangte sorgfältige Vorbereitung. Sie brauchte die Mitarbeit des gutgläubigen Doktor Wildvanck, der freilich im Urlaub war.
So dass Oma Annetje, als endlich alles bereit war, nur noch auf seine Rückkehr zu warten brauchte.
Wie, so fragte ich mich, wird die Situation von Anfang Juni bis Mitte Juli gewesen sein?
Der Patientenakte vom Willem Arntzshoeve zufolge hatte ›der Patient einen Wutanfall, widersetzte sich gegen alles, darum wurde Einweisung gewünscht‹. Was im Widerstreit zu stehen schien mit der »Suizidgefahr«, mit der sie es auch versucht hatte. Großvater war wütend gewesen. Aufgebracht, nicht aggressiv. Nicht ausreichend, jedenfalls, um eine Gefahr für seine Umgebung darzustellen; sonst wäre
das
ja als Grund für seine Einweisung angegeben worden.
Die Hausfrage kam in der Akte gar nicht zur Sprache. Aberes war mir etwas anderes aufgefallen, eine Formulierung, die mich befremdet hatte: ›Patient denkt, dass seine Frau einen andern liebt‹. Auch soll ›Patient unangenehme Kritik gegen seine Frau und seinen Sohn geäußert haben‹.
Was dann wieder mit dem
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