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Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Titel: Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorinde van Oort
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waren auf meinen Vater gerichtet, Lepel Mansborg, Oma Annetjes Stiefsohn, Erben und Testamentsvollstrecker. Doch er fühle sich nicht berufen, hatte mein Vater gemurmelt.
    Auch Onkel Piet und Rob hatten abgewinkt. Piet befürchtete, er könnte von Rührung übermannt werden – er hing sehr an seiner Tante; und Onkel Rob war der Ansicht, dass er »gute Aussichten habe, Mittelpunkt der nächsten Trauerfeier zu werden«. Die Brüder saßen nebeneinander, ihre Frauen zu beiden Seiten, und gedachten ihrer Tante nur stumm.
    So fiel das letzte Wort an meinen Onkel Henk, den jüngsten Spross aus Großvaters erster Ehe, der als Buchhalter immer schon die Finanzen für seinen Vater geregelt und Oma Annetje auch nach dessen Tod stets zur Seite gestanden hatte.
    Onkel Henk entfaltete ein Bündel vollgeschriebener Blätter und suchte lange nach seiner Brille, die ihm schließlich unter dem gedämpften Gelächter der Trauergemeinde von seiner Frau Flor gebracht wurde.
    Die Mansborgs und Beetsens machten es sich bequem, die Mansborgs erkennbar an der hohen Stirn mit den senkrecht abstehenden Locken, die bei den Männern von tiefen Geheimratseckenzurückgedrängt wurden, die Beetsens an Oma Annetjes spitzer Nase und schweren Augenlidern.
    »Bei Menschen, die so alt geworden sind wie Annetje, wird manchmal vergessen, dass sie auch einmal jung gewesen sind. Deswegen möchte ich zu Anfang Annetjes jüngeren Jahren ein paar Worte widmen.«
    Oma Annetjes Leben passierte Revue: ihre Geburt im Jahr 1888, in Purmerend, als viertes von neun Kindern; ihre schauspielerischen Leistungen als junges Mädchen; ihr Entschluss, eine Schwesternausbildung zu machen   … Onkel Henk stellte mit fachmännischer Präzision die Bilanz ihres Lebens auf. Es war alles seit langem bekannt und meine eigenen Erinnerungen drängten sich durch die Spalten und Fugen der Ansprache. Ich war noch so erschüttert von Oma Annetjes Ende, dass ich es jetzt nicht schaffte, mich auf ihren Lebenslauf zu konzentrieren.
    Ich dachte an meinen letzten Besuch bei ihr, der noch gar nicht so lange zurücklag. Sie war aus ihrem überheizten Zimmer im Seniorenheim herausgekommen, das vollgestopft war mit Reliquien; verschreckt, argwöhnisch, ungläubig, als hätte sie einen Einbrecher ertappt. Das spitze, früher so hübsche Gesicht war zu einer faltigen Hülse geschrumpft. Die Nase lang und scharf, die Augenlider tief über die Augen gesunken, was ihr etwas Durchtriebenes gab. Die weißen Haare, noch bis vor kurzem hochgesteckt – eitel, so lange es ging   –, hingen ihr in gelblichen Strähnen über die Schultern.
    »Oma Annetje, erkennst du mich nicht? Ich bin’s, deine Enkelin Emma.«
    Ich hatte ihr Pralinen mitgebracht – Ananas mit Schokolade, die von früher. Oma Annetje griff nach der Tüte, schüttelte die Pralinen heraus, setzte sich und begann gierig zu futtern. Sie aß alle auf.
    »Meine Eltern waren da«, fiel ihr plötzlich ein. »Meine Mutter saß
da
« – sie zeigte auf Großvaters ehemaligen Stuhl –»und mein Vater
da
« – (ihr Bett). »Aber plötzlich waren sie weg. Ich hab noch drunter nachgesehen, aber da waren sie auch nicht.«
    Ihre Eltern – gekommen, um sie zu holen. Sie thronten, eingerahmt, oben auf ihrem Sekretär, steif nebeneinander platziert an ihrem 40.   Hochzeitstag:
Oktober 1916.
Ihre neun Kinder der Größe nach hinter ihnen: Vera, Annetje und Jopie in weißen Spitzenkleidern, fünf Brüder im dunklen Anzug, nur der Älteste in Uniform.
    »Ach, Mädel. Wo du gerade da bist. Ich hab einen Brief bekommen, Moment   …« Sie suchte, langsam, mit tastenden Händen, in dem kleinen Stapel neben dem Telefon. Einkaufszettel. Anweisungen für Familienmitglieder, von denen die meisten schon tot waren. Seit ihrer Vertreibung aus Vosseveld im Jahr 1959 hatte sie jedem, der es hören wollte, ihr baldiges Ende angekündigt. Auf Nachttisch und Fernseher lagen letzte Verfügungen und ihr Testament.
    Mary, bitte drum kümmern,
las ich. Davon, dass meine Mutter ihr im Tod vorausgegangen war, wollte sie nichts wissen. Selbst wenn es so war, rechnete sie weiter auf sie: Der Tod war keine Ausrede.
Mary, dies bitte durchsehen nach meinem Ableben.
    DAS DATUM ERZÄHLT DIE WAHRHEIT , stand, in einer noch rüstigen Handschrift, auf einem vergilbten Umschlag, der schon etliche Jahre alt sein musste. Auf der aktuellen Fernsehzeitschrift befanden sich Notizen aus jüngerer Zeit, die erheblich kryptischer aussahen.
    Schließlich fand ich den Brief, den sie

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