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Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Titel: Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorinde van Oort
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übereinstimmte, was Lepel seinem Bruder geschrieben hatte: ›Vater war böse auf Ann und mich. Warum, ja warum‹.
    Es muss neben der Hausfrage, oder danach, noch etwas anderes im Spiel gewesen sein. Etwas Neues, etwas Akutes. So, wie es mir vorgelesen wurde, wollte der ›Patient hier nicht weiter drüber sprechen, da es zu schmerzhaft für ihn sei‹. Betraf das, so ging mir auf, vielleicht Oma Annetjes frühere Affäre mit Piet Oud?
    Die konnte doch wohl kaum mehr eine Bedrohung für ihre Beziehung zu ihrem Mann dargestellt haben. Nichts deutete ja darauf hin, dass Oma Annetje in den Kriegsjahren irgendeinen Kontakt mit ihrem früheren Geliebten gehabt hätte. Der letzte Brief, den sie von ihm aufbewahrt hat, stammte von 1966 – zwei Jahre vor seinem Tod. Es war eine Antwort auf ein Schreiben von ihr.
     
    Liebe Ann,
    lass mich beginnen, indem ich Dir herzlich danke für Deinen langen Brief. Ich anworte Dir nur auf der Schreibmaschine. Tippen fällt mir etwas leichter als schreiben.
    Es ist wirklich sehr lange her, dass wir voneinander gehört haben. Und was hatten wir für gute Vorsätze. Weißt Du noch, dass wir nach dem Hinscheiden meines Vaters die jährlichen Familienzusammenkünfte abhalten wollten? Einmal, 1939, haben wir das auch geschafft. Danach hat der Krieg alles durcheinandergebracht.
    Dein Brief hat einiges an Erinnerungen wachgerufen. Wie schön, dass mit den Kindern Deiner Schwester alles so gut gegangen ist. Erinnerst Du Dich noch, wie wir mit den Jungs am Strand inScheveningen waren? Als sie sich ausziehen wollten, kam ein Polizist, der sagte, dass dies für einen großen Jungen wie Jan verboten sei. Er war damals sicher nicht älter als zehn oder so. Das sollte man heute mal erleben. Die Zeiten haben sich doch ganz schön verändert.
    Ich empfinde es noch immer als einen großen Verlust, dass ich Jo verlieren musste. Sie ist jetzt vor beinahe acht Jahren gestorben. Mit haushälterischer Hilfe habe ich es gut getroffen. Ich habe schon seit neun Jahren eine fürsorgliche Hausgenossin, die erwachsene Kinder und Enkel hat und nach einem langjährigen Aufenthalt in Indonesien nach Holland zurückgekehrt ist   …
     
    Aus Ouds behutsamem Verweis auf Scheveningen kann man schließen, dass er seine frühere Liebe keineswegs vergessen hatte.
    Und der Gedanke an ihren gemeinsamen heimlichen Sohn dürfte ihn immer noch umgetrieben haben. Aber falls Oma Annetje bei ihm hinsichtlich einer möglichen Wiedervereinigung vorfühlen wollte, in der Hoffnung auf einen letzten sicheren Hafen bei ihrem alten Geliebten, so wie früher bei seinem Vater – dann war dieser Platz offenbar schon vergeben. Für den Herrn war gesorgt.
    Unwahrscheinlich also, dass die alte Liebe damals, in Soest, 1941, anderthalb Jahre nach der Heirat mit Christiaan Mansborg, noch so virulent war. Blieb die Frage, was es dann gewesen war.
    Kurzentschlossen kehrte ich noch einmal zurück nach Soest. Es war ein später Sonntagnachmittag, und das Dorf döste still vor sich hin. Während ich durch die Vosseveldlaan ging, kam mir ein Lied von Hugo Wolf in den Sinn:
Auf ein altes Bild.
Ein sehr in sich gekehrtes Lied, das Großvater besonders geliebt hatte.
    In grüner Landschaft Sommerflor,
    Bei kühlem Wasser, Schilf und Rohr,
    Schau, wie das Knäblein sündelos
    Frei spielet auf der Jungfrau Schoß!
     
    Auf ein altes Bild.
Maria mit dem Jesuskind. Alles ist rein und unverdorben. Das Bild passte zu der Welle von Wehmut, die mich überspülte, als ich jetzt an das Vosseveld meiner Jugend dachte; an die Zeiten von Großvater und Oma Annetje; an den blühenden Jasmin und die Pflaumenbäumchen; an die Winter, Vosseveld in festlichem Weiß – und wenn es dann taute und auf einmal wieder fror: das Spitzenwerk von Eiszapfen, das sich vom Rieddach herabsenkte. Wir Kinder brachen die Zapfen ab, lutschten an ihnen wie an Zuckerstangen, obwohl Mary sagte, dass sie schmutzig wären, weil sie voller Dreck vom Dach seien.
    Wir hatten den Staub von Vosseveld gegessen.
    Damals waren die Dramen schon längst geschehen. Alles in unserm Leben war schon geschehen – wir wussten es nur nicht. Mary nicht, Lieske nicht, Bennie nicht, Jaapje nicht.
    Nach all dem Unglück, nach dem Streit, nach Bennies Tod und Marys Krankheit ist unsere Familie auseinandergefallen wie ein Raumschiff nach dem Einschlag eines Meteoriten. Jaap ist der Vergangenheit entflohen, indem er auswanderte. Lieske hat vor kurzem jegliche Verbindung zur Familie abgebrochen. Meine Ehe ist ins

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