Frau Prinz pfeift nicht mehr
euch!«
»Nehe«, sagte Hortense freundlich.
»Wir sind oft hier oben«, erklärte Titus. »Immer, wenn ihr nicht auf uns aufpaßt.«
Jetzt kicherten die beiden, aber nur kurz. Dann sahen sie wieder ernsthaft auf Matthias, dem plötzlich ein Verdacht kam, so
ungeheuerlich, daß er sich fast an seiner Luft verschluckte. Er sah seine beiden hübschen Kinder an, Hortense trug ihren schwarzen
Overall aus Fell, der eine Kapuze mit runden Ohren hatte.
Hortense bemerkte seinen Blick, erklärte ihm, daß sie die Mickymaus auf dem Dach sei.
Titus trug auch seinen Felloverall, seiner hatte ein Tigermuster, und da sagte Titus |203| auch schon, daß er der Tiger auf dem Dach sei.
»Bloß ohne gemalt im Gesicht, sonst wär ich noch mehr Tiger. Aber die Mama darf es ja nicht wissen.«
»Nehe«, ergänzte Hortense, »sonst hätte ich noch Mausezähne un ne rote Nase.«
»Wart ihr vorgestern auch auf dem Dach?« fragte Matthias bemüht ruhig, und er spürte, wie er den Atem anhielt.
»Ja«, antwortete Titus ruhig.
»Jaha«, bestätigte Hortense.
»Habt ihr – ich meine, waren da Ziegel auf dem Gerüst?«
Hortense wies bereitwillig auf eine Stelle ungefähr vor den Füßen von Matthias.
»Da lagen Ziegel. Zwei.«
»Und ein Stein«, ergänzte Titus.
»Und – was habt ihr damit gemacht?« Matthias versuchte, sachlich und gelassen zugleich zu fragen.
»Ech habdie Ziegel gaanz nach vorne geschubst«, berichtete Hortense.
»Und dann hat se den Stein auch noch nach vorne geschubst. So, kuck ma.« Titus gabeinem weiteren Stein, der auf dem Gerüst |204| lag, behutsam kleine Tritte, so daß er Zentimeter für Zentimeter weiter an den Rand des Gerüstes rückte.
Titus schaute runter.
»Da unten war der Brüllaffe. In seinem Vorgarten.«
»Aber ihre Hand war in unserem. Weil – sie macht immer Mama den Vorgarten kaputt. Und sacht, daß wir Tierquäler sind.«
Hortense zog nach diesen Worten heftig die Nase hoch.
»Und zur Mama sagt sie faules Balg, sagt sie zur Mama!«
»Aber die Mama is nicht faul, un ein Balg isse auch nich, is ja die Mama!«
»Und – habt ihr die Ziegel ...?« Matthias scheute sich weiterzusprechen, aber die Zwillinge nickten zustimmend.
»Die Hortense hat se angefangen zu schubsen, die Ziegel. Un ich hab gesagt, dann geht se doch tot, der Brüllaffe, wenn du
se triffst.«
»Hab ich gesagt, nehe, geht se nich tot von. Ich treff ja nich, erschreck se man bloß.«
»Ja. Un da habich den Stein geschubst. |205| Wollte se auch bißchen erschrecken. Weil se immer Tierquäler gesacht hat.«
»Un blöde Bälger, geht nach eurer blöden Mama, die is ja selber noch ein Balg, hat se auch rübergesacht.«
»Immer all so was Fieses. Konnt ma nich mehr innen Garten.«
»Aber jetzt könn ma wieder. Nu isse tot.«
»Mausetot, der Brüllaffe.«
20
Kemper saß mit Strobl beim »Augustiner«. Während sie aufs Essen warteten, setzte Kemper Strobl auseinander, daß es generelle
Aussagen über die Täterpersönlichkeit in ihrer speziellen charakterlichen Verfassung nicht gebe. Das habe er wieder beim Fall
Prinz bestätigt gefunden. »Die Kinder haben Frau Prinz nur erschrecken wollen. Doch der Schwiegersohn und die Stieftochter
hätten beide die Mörder sein können |206| , obwohl beide völlig unterschiedliche Charakterstrukturen aufweisen. Es gibt eben nicht den besonderen Tätertyp des Mörders,
ebensowenig wie es den typischen Mörder gibt. Die Erfahrung zeigt, daß der Vollzug von Tötungen in den Breiten menschlicher
Handlungsmöglichkeiten überhaupt liegt.«
»Das ist ein Trost«, erklärte Strobl herzlos, »da werden wir nicht arbeitslos.« Er hob sein Bierglas. »Ich trinke mit dir
auf unseren nächsten Fall, aber für heute mag ich nur noch einen Schweinsbraten.«
Informationen zum Buch
»Nun lag Frau Prinz in ihrem Vorgarten, für immer verstummt. Sie trug ihren knallroten Anorak und die Schirmmütze mit den
Ohrenklappen. Eine seltsame Bekleidung für eine Leiche. Aber so war sie gewesen, ohne Rücksicht auf die Umwelt.« Das Scheusal
ist tot – erschlagen von einem Dachziegel. Die Nachbarn im vornehmen Münchner Stadtteil Nymphenburg zeigen klammheimliche
oder offene Freude, denn Frau Prinz hat sie alle drangsaliert. War ihr Tod ein Unfall oder etwa Mord?
Informationen zur Autorin
Asta Scheib , geboren am 27. Juli 1939 in Bergneustadt/Rheinland, arbeitete als Redakteurin bei verschiedenen Zeitschriften und lebt heute
als freie Schriftstellerin in München.
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