Frau Prinz pfeift nicht mehr
Strauß blauer Rosen, den Sissi ihr gebracht hatte, blaue Rosen mit
grünen Blättern, kein Wunder der Natur, nur ein schlichter Trick, und irgendwo lief dieser Papke herum, der sie heute unter
die U-Bahn stoßen wollte und einen Jungen getötet hatte, den er statt ihrer auf die Gleise stieß.
Agnes Molden ging zur Tür des Gartenzimmers, um die Rolläden herunterzulassen, wie Matthias es ihr geraten hatte. Als sie
aus der Wohnzimmertür trat, sah sie Papke draußen hinter der Glastür stehen, in der Hand ein schweres Eisenrohr. Er grinste
Agnes an in irrer Wut, hobdas Eisenrohr. Im Wegrennen hörte Agnes die Scherben klirren.
|185| 18
Ingrid Papke trug eine Reisetasche mit Babysachen in der einen Hand, in der anderen hatte sie eine Tragetasche, in der Niki
schlief. Emilie Koch nahm die Plastik-Badewanne vom Tisch, die gefüllt war mit Papierwindeln. Beide Frauen waren warm und
praktisch gekleidet, auch Niki trug ein fellgefüttertes Mützchen und war bis zu seiner Nasenspitze zugedeckt.
Emilie Koch sah sich wie abschiednehmend in ihrem Wohnzimmer um. »Obdas gutgeht, Ingrid? Ich habe solche Angst.«
»Mußt du nicht, Millie, bisher hat niemand einen Verdacht. Die Zeitungen schreiben, daß der Junge wahrscheinlich schon lange
nicht mehr lebt.« Ingrid sagte es beruhigend, doch auch sie war nervös, triebzur Eile an. »Komm, Millie, je schneller wir
hier rauskommen, desto besser. Wenn wir erst in der Rhön sind, findet uns keiner. Niemand außer Berthold weiß, daß du dieses
Haus hast, und Berthold hat so |186| wenig Interesse an mir, daß er mich nicht einmal verraten würde.«
Emilie sah Ingrid mitleidig an. »Warum hast du den nur geheiratet?«
»Na ja, du weißt es doch – ich war halt schwanger. Ich dachte, es wäre besser für das Kind, wenn es eine richtige Familie
hätte.«
In diesem Moment ging die Türklingel. Ingrid und Emilie starrten einander in die angstgeweiteten Augen. »Wer könnte das jetzt
sein? Wir machen einfach nicht auf«, befahl Ingrid leise, und Emilie blieb stehen wie erstarrt, lauschte mit fahlem Gesicht
zur Tür. Ingrid rannte mit der Babytasche in Emilies Schlafzimmer, schloß sich darin ein.
Obermeister Strobl, der von Kemper den Hinweis bekommen und einige Verdachtsmomente ermittelt hatte, so daß er inzwischen
von einer heißen Spur reden konnte, stand mit einer jungen Kollegin vor der Tür. Entschlossen klingelte er ein zweites, ein
drittes Mal.
»Geh zum Hausmeister runter, bitte, er soll mit dem Schlüssel kommen«, sagte Strobl zu seiner Kollegin.
|187| Strobl war voller Energie, er fühlte sich auf dem richtigen Weg. Diesmal, nach so vielen Fehlanzeigen und einiger Häme bei
Kollegen und Vorgesetzten, war er ganz sicher, daß er die Kindesentführung aufklären würde. Dazu hatte Kemper ihm verholfen,
und zum erstenmal war Strobl dem Vorgesetzten dankbar, der ihm immer wieder gepredigt hatte, er müsse versuchen, sich einen
Zugang zur Tat zu erschließen, indem er von einer bestimmten charakterlichen Verfassung des mutmaßlichen Täters ausging. Nach
Kempers Hinweis auf die Prinz-Papke hatte Strobl bei Frau Schierl einen Besuch gemacht, die ihm beim Auffinden der Leiche
von Frau Prinz aufgefallen war. Bereitwillig hatte Frau Schierl Strobl berichtet, daß die Ingrid immer ein komisches Kind
gewesen war. »Immer allein. Keine Freunde, in der Schule immer bei den Letzten. Die Frau Prinz hat sich um das Kind nicht
gekümmert. Nur die Millie, die alte Zugeherin, die hing an dem Kind, die kannte es ja vom ersten Tag an. In der Steuerkanzlei,
die dem Neffen von Frau Koch gehört, da ist die Ingrid nach der |188| Schule dann untergekommen, auch mehr aus Gnade und Barmherzigkeit, glaube ich. Na ja, muffig war sie immer, die Ingrid, auch
nicht die Schönste, da beißt so leicht keiner an, aber dann war sie ja schwanger, da hat der Papke sie dann doch geheiratet.
Aber wenn Sie mich fragen – glücklich sind die nicht gewesen, nicht einen Tag lang. Und mit dem Kind war es dann ja auch nichts,
gestorben ist es, war halt eine Totgeburt im achten Monat, das Kind wollte eben nicht in die Welt. Und seitdem ist die Ingrid
noch komischer geworden.«
Eigentlich hatte Strobl nach dieser für ihn wichtigen Aussage das Gefühl, auf ein Gespräch mit Frau Tinius verzichten zu können,
doch er sah sie auf dem Gehsteig mit Doktor Lersch, so daß er ihnen auf seinem Weg zum Auto gar nicht entkommen konnte. Doch
wer weiß –
Weitere Kostenlose Bücher