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Einfach göttlich

Einfach göttlich

Titel: Einfach göttlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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M an nehme die Schildkröte und den Adler.
    Die Schildkröte lebt auf dem Boden. Man kann dem Boden kaum näher sein, ohne sich darunter zu befinden. Der Horizont ist nur wenige Zentimeter entfernt. Die Höchstgeschwindigkeit eines solchen Geschöpfs reicht gerade aus, um einen Kopfsalat zu jagen. Es hat überlebt, während der Rest der Evolution vorbeihastete. Der Grund dafür: Es stellt für niemanden eine Gefahr dar, und es läßt sich nur mit Mühe verspeisen.
    Und dann der Adler. Ein Wesen der Lüfte und Höhen – sein Horizont erstreckt sich am Ende der Welt. Seine Augen sind scharf genug, um das Zittern eines winzigen pelzigen Wesens einen Kilometer entfernt zu sehen. Der Adler ist geballte Kraft. Ein mit Schwingen ausgestatteter, blitzschnell zuschlagender Tod. Er hat Klauen und Krallen, um kleinere Tiere zu packen und zu verschlingen – und um sich bei größeren zumindest einen raschen Snack zu erlauben.
    Stundenlang sitzt der Adler auf einem Felsen und beobachtet die Königreiche der Welt, bis er in der Ferne eine Bewegung bemerkt. Dann blickt er in die entsprechende Richtung, sieht ganz genau hin und erkennt einen kleinen Panzer, der auf kurzen Beinen durch die Wüste schwankt. Was der Adler zum Anlaß nimmt, zu springen…
    Kurze Zeit später stellt die Schildkröte fest, daß ihr Abstand zum Boden immer mehr wächst. Zum erstenmal sieht sie die Welt nicht aus einer Distanz von etwa einem Zoll, sondern aus einer Höhe von zweihundert Metern, und sie denkt: Diese Perspektive verdanke ich dem Adler; er ist ein guter Freund.
    Wenige Sekunden später öffnen sich die Klauen des Adlers.
    Woraufhin die Schildkröte praktisch sofort in den Tod stürzt. Jeder kennt den Grund dafür: Die Schwerkraft ist eine Angewohnheit, die man nur schwer abstreifen kann. Allerdings… Kaum jemand weiß, warum sich ein Adler auf diese Weise verhält. Schildkrötenfleisch mag recht gut schmecken, aber angesichts der Mühe dürfte andere Nahrung vorzuziehen sein. Es scheint Adlern schlicht und einfach zu gefallen, Schildkröten zu plagen.
    Der Adler weiß natürlich nicht, daß er an einem ziemlich gemeinen Spiel namens »natürliche Auslese« teilnimmt: Eines Tages werden Schildkröten das Fliegen lernen.
     
    S chauplatz der Geschichte ist eine Wüstenregion, in der umbrabraune und orangefarbene Töne vorherrschen. In Hinsicht auf Anfang und Ende lassen sich keine so klaren Aussagen treffen. Beschränken wir uns auf folgende Feststellung: Ein Anfang fand oberhalb der Schneegrenze statt, viele tausend Kilometer entfernt, in den Bergen der Mitte. 1
    Eine häufig gestellte philosophische Frage lautet:
    »Verursacht ein umstürzender Baum im Wald Geräusche, wenn niemand zugegen ist, um etwas zu hören?«
    Solche Fragen geben Aufschluß über die Denkweise von Philosophen: Immerhin befindet sich immer jemand in einem Wald. Zum Beispiel ein Dachs, der sich über das sonderbare Knacken wundert. Oder ein Eichhörnchen, das sich verblüfft fragt, warum die Landschaft plötzlich nach oben kippt. Ganz gleich welchen Wald man auch nimmt – nie ist er völlig leer. Wenn er genug Platz bietet, halten sich dort Millionen von geringen Göttern auf.
    Die Dinge geschehen, und zwar eins nach dem anderen. Sie scheren sich nicht darum, wer darüber Bescheid weiß. Aber die Geschichte… nun, damit sieht es völlig anders aus. Der Geschichte muß man Aufmerksamkeit schenken, weil es ihr sonst an historischem Inhalt mangelt. Unbeachtete Geschichte besteht nur aus… Dingen, die nacheinander geschehen.
    Und natürlich muß man sie kontrollieren. Sonst könnte sie sich in wer weiß was verwandeln. Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht besteht die Geschichte tatsächlich aus Königen und Schlachten, Thronfolgen, Kämpfen und dergleichen… Alles muß genau zum richtigen Zeitpunkt stattfinden.
    Damit sind gewisse Probleme verbunden. In einem chaotischen Universum geht einfach zuviel schief. Es kann leicht passieren, daß das Pferd des Generals zur falschen Zeit ein Hufeisen verliert oder daß jemand einen Befehl nicht hört beziehungsweise falsch versteht. Oder man stelle sich einen Kurier vor, der eine überaus wichtige Nachricht überbringen soll, unterwegs jedoch einigen unfreundlichen Zeitgenossen mit Knüppeln und leeren Geldbörsen begegnet. Außerdem gibt es jede Menge Gerüchte und Legenden, die sich manchmal zu den wildesten Ereignissen aufblähen – zu parasitären Wucherungen am Baum der Geschichte.
    Deshalb braucht die Historie

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