Frau Schick macht blau
Mulmhöhlen sind in Europas Wäldern rar geworden und sein Favorit für einen Eilantrag auf Baustopp.
Frau Schick klemmt ihre Reitgerte unter den Arm und presst das Fernglas dicht vor ihre Brillengläser, um eine hochbetagte Buche auf Löcher zu prüfen. Ha, da ist eins, das vielversprechend wirkt. Unter der kreisrunden Öffnung wuchern terrassenförmig gelbe Baumpilze und tabakbraune Schwämme hervor, die dumpfen Modergeruch verströmen. Das muss doch ein Palast für Juchtenkäfer sein!
»Hierher! Hierher!« Sie winkt entzückt nach Kubuleit und Blogger, die ein paar Meter vor ihr über einem Ameisenhügel kauern. Kubuleit lässt sich von Blogger eine Lupe aus seinem Gerätekoffer reichen.
»Herr Doktor, ich glaube, ich habe eine Mulmhöhle entdeckt!«, ruft sie.
Kubuleit hebt kurz den Kopf und schüttelt ihn. »Nein. Da wohnt ein Eichhörnchen.«
Frau Schick verzieht enttäuscht das Gesicht. Mist! In ihrem letzten Baumloch hat ein Sperling gehaust und in dem davor nur tote Fledermäuse. Diese dummen Käfer sind aber auch zu wählerisch. Genau wie Griesgram Kubuleit, der viel strenger hinguckt als angekündigt. Anscheinend zählt der jetzt sogar die Ameisen ab, um zu prüfen, ob es auch genug sind. Blöder Pingelbruder! Die Nachricht von Engels’ Verhaftung hat den Bürokraten in ihm geweckt und sein Wohlwollen arg gedämpft.
»Es war ausgemacht, dass Professor Engels verschwunden ist, wenn ich komme, und dass über seinen vorübergehenden Aufenthalt in diesem Wald nichts bekannt wird«, hat Kubuleit zu Beginn seiner Inspektion merklich verstimmt festgestellt. »Sein Name ist in seriösen Umweltschützerkreisen verbrannt. Eine Zusammenarbeit mit ihm ist tabu!«
Alles nur wegen der albernen Vorstrafe und ein paar zerzauster Felder. Also wirklich! Frau Schick gibt den hässlichen Terrassenpilzen am Buchenstamm einen missmutigen Klaps.
»Frau Schick«, mahnt empört Herr Kubuleit. »Von diesem Baumpilz leben ein paar ausgesprochen seltene Totholzinsekten und Pilzbesiedler!«
»Oh, Verzeihung«, ringt sich Frau Schick eine Entschuldigung ab. Leider braucht sie den Kerl noch. »Stehen die auf der roten Liste?«
»Nein«, sagt der Doktor unbeeindruckt und zählt, unterstützt von Blogger, weiter Ameisen.
Pah, dann können ihr die Pilzkäfer gestohlen bleiben! Hoffentlich kommt Becky bald. Geheimplan B, ihr Häkelmini und Popeschs Hamster scheinen ihre letzte Chance zu sein, diesen Griesgram für sich einzunehmen. Ihr selbst kommt die Begeisterung für die Rettung von Natur und Waldfrieden langsam abhanden.
Frau Schick nimmt – erschöpft von der Mulmhöhlenforschung – auf einem Baumstumpf Platz. Ihre Gedanken kehren zu ihrem Professor hinter Gittern zurück. Ludwig, ihren Lebensretter, wegen ein paar Hundert herausgerupfter und zertrampelter Maispflanzen einzusperren, ihm dann den Enkel zu klauen und ihn schließlich auch noch als Wissenschaftler derart zu diskreditieren, das gehört sich nicht. Das gehört sich ganz und gar nicht. Ein paar dumme Versuchspflanzen abzupflücken, die die Welt nicht braucht, ist doch kein Schwerverbrechen!
Wer braucht schon Mais und Gemüse mit irgendwelchen Genen oder mörderisch giftigen Insektenvernichtern drin, die von Natur aus gar nicht reingehören und abgesehen von Ludwigs Bienen auch so ziemlich alles andere bedrohen könnten, was in Feld, Wald und Wiesen sonst noch wächst und fleucht und kreucht, wie Blogger sagt.
Überhaupt hat der Professor die dummen Maisfelder ja nicht mal selbst niedergemacht!
Nein, das waren – angestachelt von Ludwigs leidenschaftlichen Vorlesungen über die Bedeutung von Bienen, Blumen-, Gemüse- und Obstbestäubung – Blogger und ein paar Kommilitonen.
Das Ganze nennen sie »Feldbefreiung«; sie soll Menschen und Insekten vor Killergemüse bewahren und klingt in Frau Schicks Ohren allenfalls nach einem Dumme-Jungen-Streich.
Der fürsorgliche Ludwig hat die ordnungswidrigen Maisernten nachträglich zu botanischen Forschungsexkursionen erklärt, um seine Studenten vor dem Arm des Gesetzes zu schützen. Standhaft hat er sich geweigert, irgendwelche Teilnehmerlisten herauszurücken. Leider ist er deswegen nach jahrelangen Straf- und Zivilprozessen gleich an zwei Strohköpfe von Richtern geraten, die ihn nach Maos Motto »Bestrafe einen und erziehe Hunderte« zu einer exorbitanten Schadensersatzsumme und sechs Monaten Gefängnis verurteilt haben. Ohne Bewährung.
Und darum will Kubuleit nicht einmal Engels’ wundervolle Bienen ins
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