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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Jacobi
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der wie eine Wimper am Himmel klebte, und Lagerfeuer, an denen Pilger Socken verbrannten. Schuhe qualmen ja doch reichlich.
    Ordnungsgemäß ist sie an einem bronzenen Pilgerschuh vorbeigegangen, dem Kilometerstein 0,0, und ist bis auf die Spitze des Kaps gelaufen. Dort hat sie der Brandung gelauscht, die an den Fuß des Felsens schlug.
    Sie hat getan, was zu tun war. Sie hat geweint, kurz und still, dem Anlass angemessen. Auf dem Weg hat sie gelernt, dass es Unsinn ist, sich ganz und gar seinen Gefühlen anzuvertrauen, sich von ihnen überwältigen und fortreißen zu lassen, sie in Gedanken festzuhalten, bis der ganze Körper schmerzt.
    Gefühle, selbst die allerschlimmsten, gehen vorüber, hat sie sich gesagt. Und » Pantharei – alles fließt und alles geht vorüber«. Wie weise, wie wunderbar weise.
    Oh ja, das war ein heroischer Moment, und Nelly war stolz auf sich. Bis sie merkte, dass auch das wieder einmal nur ganz großes Kino war – Gefühlskino für esoterisch angehauchte Seelen, die das Himmelreich auf Erden installieren wollen.
    So hat Gott das aber anscheinend nicht gemeint, denn Nelly hat neben hehren Gefühlen und Hunger ganz plötzlich den dringenden Wunsch verspürt, sehr schnell, am besten umgehend nach Santiago zurückzufahren. Per Anhalter hat sie sich bis zur nächsten Busstation durchgeschlagen. Erst ist sie in einem Fischkühltransporter mitgereist und dann mit einem Trio jugendlicher Nachteulen. In Negreira hat sie sich bei Nacht an die Bushaltestelle gesetzt und gewartet. Sie wollte den ersten Bus auf keinen Fall verpassen und hat zum Glück so sehr gefroren, dass an Schlaf gar nicht zu denken war.
    Jetzt ist es elf Uhr. Sie weiß, dass Paolos Gruppe heute die Pilgermesse besuchen wird, um danach die Apostelfigur des heiligen Jakobus von hinten zu umarmen und auf die Schulter zu küssen. Oder auch nicht. Frau Schick hat unterwegs mehrfach betont, dass sie keine Heiligen umarmt, weder von hinten noch von vorn. Schon gar nicht küsst sie Heilige, die Schwerter schwingen und Mohren und Juden die Köpfe abhauen. Da würden sich ja, hat sie geschimpft, eine gewisse Schemutat und eine Butzi im Grab herumdrehen.
    Nelly muss lächeln, während sie sich durch eine Touristengasse kämpft. Frau Schick ist wirklich wunderbar – so grimmig wie grundgütig und einfach unverwüstlich. Hoffentlich ist sie das noch sehr lange. Der fehlt kein Mut zum Glück. Nelly hofft, dass die alte Dame es heute in Form eines Briefes von Thekla oder in Gestalt von Johannes findet. Das wäre überhaupt am besten. Und hoffentlich findet sie selbst Frau Schick ebenfalls. Das ist gar nicht so einfach bei dem Trubel.
    Spätestens um halb zwölf wird sie sich vor einem der Tore der Kathedrale anstellen müssen, um ihre Gruppe in dem zu erwartenden Gewusel und Gedränge zu entdecken. Aber an welchem Tor? Am Hauptportal in der barocken Westfassade, entscheidet sie sich. Paolo wird der Gruppe ganz sicher das dahinterliegende Glorienportal zeigen wollen. Es ist einer der größten Kunstschätze dieser Kirche. Und dahinter wartet dann der Jessebaum, eine steinerne Säule, über der ein steinerner Jakobus thront. Jahrhundertelang haben Pilger eine Hand auf die immer gleiche Stelle der Säule gelegt, um von Jakob die Sünden erlassen zu bekommen. Das Ritual hat einen tiefen und von Millionen Händen geformten Abdruck hinterlassen.
    »Zum Schutz des Steines«, hat Paolo vor einigen Tagen erzählt, »iste die Säule von Absperrgitter gesäumt.«
    Hildegard fand das natürlich vernünftig und solche »Heidensitten« wie das Handauflegen albern. Frau Schick hingegen fand die Absperrung ganz skandalös, weil man Pilger nach Hunderten von Kilometern so nicht betuppen dürfe.
    Nelly schüttelt den Kopf; Frau Schick hat wirklich ihre sehr eigene Version von Religion, aber das wird Gott ganz sicher nichts ausmachen.
    »Falls es Gott gibt, ist der ja wohl weder katholisch noch evangelisch«, hat Frau Schick gern gezürnt, »sondern alles auf einmal. Ach was, der ist ganz schlicht unbeschreiblich. So steht’s schließlich in der Bibel. ›Du sollst dir kein Bildnis von Gott machen.‹ Es wäre besser, die Menschen hätten sich mal dran gehalten.«
    Ach ja, erinnert sich Nelly, die Zehn Gebote hat sie Frau Schick auch übersetzen müssen, nach der Kirchenführung des kauzigen Señor Fadrago, bei der Paolos Urgroßvater seinem Urenkel zum Schluss das vierte Gebot ans Herz gelegt hat. Du sollst Vater und Mutter ehren.
    Ach, jetzt aber Schluss

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