Frauenbataillon
Wiljam Matwejewitsch. Ich hole es morgen früh ab.«
Morgens um vier Uhr tanzte sie mit dem Parteisekretär aus Mirny einen Ländler, weil der Genosse, mit Wein und Wodka aufgeschwemmt, lauthals behauptete, eine Witwe in ihrem noch respektablen Alter müsse fröhlich sein, und ihr Leben dürfe sich nicht auf Blümchengießen am Grabe beschränken.
Alle klatschten und sangen mit, als Stella tanzte. Nur Wiljam Matwejewitsch beobachtete sie nachdenklich, versuchte, ihren Blick zu deuten und wunderte sich, daß außer ihm niemand merkte, wie weit entrückt sie war, obwohl sich ihre Beine im Takt bewegten und ihr Mund lachte …
Am nächsten Morgen zog Stella Antonowna eine Hose und eine Jacke aus weichem Rentierleder und lange, bis zu den Knien gehende, handgenähte Stiefel an. Dann schob sie ihr ins Grau spielendes blondes Haar unter eine runde Ledermütze mit einem breiten Schirm. Auf einem Hocker neben der Tür stand prall gepackt ein Rucksack. Mit ruhigen Schritten ging sie zu einem Schrank, schloß ihn auf und nahm ein Gewehr aus der Halterung. Es war eine gut geölte und sichtbar gepflegte Waffe eines Modells, das heute kaum noch einer kennt, es sei denn, er besucht ein Museum über den Großen Vaterländischen Krieg. Dort hängen solche Gewehre in gläsernen Schaukästen, und ein Veteran erklärt der Jugend, wie die Helden damit gegen die Deutschen gekämpft und gesiegt haben.
Stella hob das Gewehr, so daß es von den durch das Fenster fallenden Strahlen der Morgensonne beleuchtet wurde, betätigte das Schloß, blickte durch das aufmontierte Zielfernrohr, griff in einen Kasten mit zu Fünferstreifen aufgezogenen Patronen und lud die Waffe. Zehn Streifen stopfte sie in einen Lederbeutel, den sie sich umgehängt hatte, verschloß den Schrank dann wieder und hängte das Gewehr am Riemen über die Schulter.
Vor dem Haus wartete eine der Weberinnen mit einem gesattelten Pferd, einer kräftigen, zehnjährigen Stute, kupferrot, mit glänzendem Fell, wachen Augen und breiten Nüstern. Stella ging um sie herum, kontrollierte die Sattelgurte, klopfte dem Tier den Hals und streichelte die weichen, geblähten Nüstern.
»Wir werden es schaffen, Almas«, sagte Stella mit entschlossener Stimme. »Wir brauchen nicht mehr die Stunden und die Tage zu zählen.«
Sie verschnürte den Rucksack hinter dem Sattel und nickte dem Mädchen, das die Zügel hielt, aufmunternd zu. Als sei sie auf einem Pferderücken aufgewachsen, schwang sie sich in den Sattel, ergriff die Zügel und ritt in leichtem Trab aus ihrem Garten hinaus auf die Straße.
Dr. Semaschko im Krankenhaus wußte schon Bescheid, als Stella an seine Tür klopfte. Die Witwe Salnikowa reitet durch die Stadt, hatte es geheißen, mit einem Gewehr auf dem Rücken. Ein Teufelsding, dieses Weib. Sitzt im Sattel wie ein Kosak. Und ledernes Zeug hat sie an. Sie will wohl in der Taiga ihren Schmerz austoben.
»Wie siehst denn du aus?« bellte Dr. Semaschko sie an, zeigte mit ausgestreckter Hand auf das alte Gewehr über ihrer Schulter und schüttelte den Kopf.
»Kümmere dich nicht darum«, sagte sie hart. »Wo ist die Flasche mit Pjotrs Blut?«
»Wo willst du hin?«
»Fragen. Immerzu Fragen! Kann man nichts mehr tun, ohne gefragt zu werden? Was kümmert's dich, wo ich hin will?! Gib mir die Flasche.«
»Du willst zu dem Bären – «, sagte Wiljam Matwejewitsch dumpf und ahnungsvoll. »Du willst dich an ihm rächen. Ist es so?«
Sie schwieg, streckte die rechte Hand aus und schnippte mit den Fingern. Semaschko holte aus einem Kühlschrank das Fläschchen und legte es in Stellas Hand. Sie schloß die Finger um das kalte Glas. Ein Zittern lief durch ihren Körper. Aber sie hatte sich schnell wieder in der Gewalt und steckte die Flasche zu der Munition in ihren Umhängebeutel.
»Du bist ein wirklicher Freund, Wiljam Matwejewitsch«, sagte sie gepreßt. Das Sprechen fiel ihr jetzt sichtlich schwer.
»Ich werde Stupka informieren«, sagte Dr. Semaschko. »Du gehst nicht allein zu dem Bären.«
»Vergiß, daß du es weißt, Wiljam …« Semaschko bemerkte ein seltsames Glühen in ihren Augen, wie er es an ihr noch nie gesehen hatte. »Oder du mußt vergessen, daß wir uns jemals gekannt haben.«
»Mit dem Bären allein! Du! Nie lasse ich das zu!« schrie Wiljam Matwejewitsch. »Genügt es nicht, daß er Pjotr umgebracht hat?! Willst du klüger sein als er? Überlistet hat ihn der Bär … er kam von hinten an ihn herangeschlichen, und Pjotr hat nichts gehört. Er ist eine
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