Frauenbataillon
medizinische Verpflichtungen … Wenn nun ein akuter Notfall eintritt …?‹ Und was antwortete Stupka? ›Es wird keinen akuten Fall in Nowo Kalga geben, solange du Urlaub im Wald hast, Wiljam Matwejewitsch. Dafür sorge ich schon!‹«
Dr. Semaschko seufzte, setzte sich unter das Schutzdach und nahm die Strickmütze von seinen weißen Haaren. »Nur so war es mir möglich, allein zu kommen, ohne Stupka mit seinen zehn Mann. Ich mußte ihm in die Hand versprechen, nicht eher zurückzukommen, als bis auch du wieder Frieden gefunden hast! Das ist nun ein Problem, Stellanka. Man kann das Krankenhaus nicht unbegrenzt geschlossen halten. Krankheiten lassen sich nicht mit Befehlen verbieten.«
»Und nun willst du also hierbleiben?« fragte Stella erregt. Ihre Wangen glühten vor Zorn. Sie ging um das niedrige Feuer herum, gab dem auf der Seite liegenden Motorrad einen kräftigen Tritt und bezwang sich mühevoll, nicht schon wieder so zu fluchen wie vorhin, als sie das Geknatter erstmals gehört hatte.
»Woher hast du den Karabiner?«
»Von Stupka. Das ist die neueste Militärwaffe. Eine SKS-Simonow. Visierbereich bis 1.000 Meter …« Dr. Semaschko hielt ihr das Gewehr hin. »Damit kann man besser schießen als mit deinem alten Prügel …«
»Mein Großmütterchen, wie du es nennst, hat einen Visierbereich von 2.000 Metern …«, sagte Stella leichthin. »Mit einer M 30-Patrone, Typ B-30, zerschlage ich jede Panzerung. Das Geschoß hat eine Anfangsgeschwindigkeit von 850 Metern in der Sekunde … Das bringt keine andere Patrone …«
Sprachlos riß Dr. Semaschko die Augen auf und kratzte sich den Kopf mit den weißen, im Winde flatternden Haaren. Dann knackte er mit den Fingergelenken und stützte sich auf den schönen, modernen Militärkarabiner wie auf einen Stock. »Mir fehlen die Worte«, sagte er endlich. »Hast du uns sechsundzwanzig Jahre lang was vorgespielt?«
»Du brauchst nicht auf mich aufzupassen wie ein Hofhund, nur weil ich jetzt Witwe bin!« fauchte sie grob. »Scher dich zurück zu deinen Krankenbetten. Ich bin nicht krank. Ich fühle mich gesund wie nie zuvor. Nicht auszudenken, das könnte so weitergehen! Die arme kleine Witwe … so allein … man muß sie aufheitern … man darf nicht zulassen, daß sie sich einsam fühlt … könnte ja stolpern, das Seelchen … sich überheben an einem Eimerchen … ist ja nicht mehr die Jüngste, die Gute … bildet ein Komitee, ihr lieben Nachbarn, besprecht euch und tauscht die Kalender aus: Wer ist morgen dran und übermorgen und am 17. August …? Die arme Stella Antonowna … wir müssen uns um sie kümmern …« Erneut gab sie dem Motorrad einen wütenden Tritt und baute sich vor Dr. Semaschko auf. Wie eine Marktfrau, der man die Tomaten zerdrückt hat, stemmte sie die Arme in die Seiten. »Mach dich davon, Wiljam Matwejewitsch!« schnaubte sie mit funkelnden Augen. »Wenn ich dich brauche, werde ich dich schon rufen!«
Dr. Semaschko war mit seinen über siebzig Jahren erfahren genug im Umgang mit Frauen. Er hatte nie geheiratet, aber im Laufe der Zeit einige Geliebte gehabt, die er jedesmal ohne großen Skandal verabschiedete, was durchaus für ein entsprechendes Fingerspitzengefühl sprach. Außerdem ist ein Arzt auch immer Beichtvater seiner Patienten, sammelt auf diese Weise ein wahres Gebirge an Erfahrungen und gewinnt vielfältige Einblicke in das tägliche Leben, so daß er nach einem halben Jahrhundert ohne Übertreibung sagen kann: Den Menschen, liebe Brüder, ja, den kenn ich!
Dr. Semaschko blinzelte der wütenden Stella zu, ging, gestützt auf das schöne Simonow-Gewehr, zum Feuer, setzte sich dort auf den Boden und streckte die Beine aus.
»Ich hätte Lust auf ein Becherchen Tee«, sagte er gemütlich.
»Der Teufel brühe ihn dir auf!« fauchte Stella.
»Es kann auch ein Teufelchen sein.« Wiljam Matwejewitsch lachte glucksend. »Zier dich nicht, Stellanka. Warum tobst du so? Könnte uns Pjotr jetzt sehen, er würde mich umarmen und sagen: Recht so, mein Freund! Laß mein Weibchen nicht allein.«
Es war eine hinterhältige Argumentation, auf die Stella keine Antwort einfiel. Wenn Pjotr uns sehen könnte … der Satz machte sie wehrlos. Denn sie spürte Pjotr an diesem Ort, hatte sie sich doch vier Tage und vier Nächte lang mit ihm unterhalten.
Am frühen Morgen des siebten Tages kam der Bär.
Aus den Niederungen wehten Dunstschleier herauf, hingen wie zerfetzte Tücher unter den Baumkronen und krochen über die Lichtung. Es roch
Weitere Kostenlose Bücher