Frauenversteher
Im Laufe einer Beziehung zwischen Mann und Frau gibt es einen Zeitpunkt »F« (Frisurenerkennungszeitpunkt), den die Frau definiert. Ab diesem Zeitpunkt fortlaufend erwartet die Frau, dass der Mann von allein bemerkt, wenn die Frau beim Friseur war.
Aus dieser Formel resultieren allerdings Probleme, da sie zwei wichtige Punkte unberücksichtigt lässt:
1. Festsetzung und Bekanntgabe des Zeitpunktes: Die Frau informiert den Mann nicht darüber, ab wann diese Regelung gilt. Sie sagt ihm nicht so etwas wie: »Schatz, wir sind nun drei Monate zusammen, allmählich würde ich es sehr begrüßen, wenn du ohne meine Mithilfe, quasi von allein, bemerken würdest, wenn ich beim Friseur war, denn das ist mir schon wichtig.« Es gibt auch keine Hinweise in schriftlicher Form, keine Zettel an der Kühlschranktür, keine Postings in sozialen Netzwerken, nichts! Problematisiert wird die Sache zusätzlich dadurch, dass jede Frau diesen Zeitpunkt ganz individuell unterschiedlich setzt, die meisten sogar unbewusst. Keine Frau sagt zu sich selbst: »Ab heute Mittag Viertel nach eins gilt es, ab da muss er es bemerken.« Es ist mehr so ein Gefühl, das auftritt, wenn der Mann die neue Frisur nicht bemerkt. Leider gibt es auch keine übergeordneten Regeln, nach denen sich ein solcher Zeitpunkt errechnen lassen könnte. Man kann auch nicht sagen, es dauert X Wochen oder Y Monate, da dieses Gefühl bei der einen Frau schon nach wenigen Wochen auftauchen kann, bei einer anderen erst nach einigen Monaten liebender Zweisamkeit und Vertrautheit. Es gibt für Männer also keine Möglichkeit zu erfahren, ab wann sie besonderes Augenmerk auf die Frisur zu legen haben.
2. Frisurerkennungshemmung: Die meisten Männer bemerken es einfach nicht, wenn die Frau beim Friseur war. Es sei denn, sie hat seine Brieftasche benutzt, aus der plötzlich hundertzwanzig Euro fehlen, und sie sieht genauso aus wie vorher. Dann könnte der Mann anhand deduktiver Logik wie ein Prof. Dr. Dr. Dr. Augustus van Dusen 7 kombinieren: »Warte kurz! Die Uhr sagt mir: Du kommst später als gewohnt nach Hause. Mein Portemonnaie teilt mir mit, dass hundertzwan-zig
Euro fehlen. Mein Blick sagt mir: Du hast keine Einkaufstaschen dabei und siehst genauso aus wie zu dem Zeitpunkt, als du die Wohnung verlassen hast. Conclusio: Du warst beim Friseur!« Aber heutzutage haben die meisten Frauen ihr eigenes Portemonnaie und verdienen ihr eigenes Geld, da fällt diese Möglichkeit leider weg. Wie also können wir dieses haarige Problem in den Griff bekommen?
Am Anfang unserer Beziehung hatte ich mit meiner Ehefrau tatsächlich ein solches Problem (sie kam erwartungsvoll vom Friseur nach Hause, ich bemerkte nichts). Ich griff damals den Stier bei den Hörnern und sagte ihr ganz offen und ehrlich, dass wir Männer nicht besonders gut im Erkennen von neuen Frisuren seien, ich als Frauenversteher aber natürlich wisse, dass es sie freuen würde, wenn ich ihre neue Haartracht bemerken und würdigen würde. Wir setzten uns daraufhin zusammen und überlegten, was zu tun sei.
Meine Frau schlug vor, dass sie mir ein paar Hinweise geben könnte, die es mir leichter machen würden. Ich fand diese Idee toll, und wir freuten uns, dass wir so prima über alles reden konnten und uns gegenseitig so gut verstanden.
Es vergingen einige Wochen, und ich hatte (typisch Mann) unser Gespräch über Frisuren schon fast vergessen.
Irgendwann kam meine Frau nach einem samstäglichen Stadtbummel mit Freundinnen nach Hause, warf fröhlich lachend ihr wunderschönes Haar in den Nacken, drehte sich vor mir im Kreis, schaute mich auffordernd an, blinzelte mir übertrieben ironisch zu und sagte: »Na?!«
Ich war zuvor noch mit etwas ganz anderem beschäftigt gewesen, schaute sie einigermaßen verständnislos an und meinte nur: »Was, na?« Das war irgendwie kein guter Satz, er resultierte einfach aus meiner Verblüffung über ihr überaus ungewöhnliches Verhalten.
Meiner Frau sanken die Schultern, sie seufzte vernehmlich, atmete tief ein, wackelte mit dem Kopf und sagte überdeutlich, als wäre ich ein Kleinkind: »Fällt – dir – irgendetwas – an – mir – auf?«
Mir war inzwischen ganz unwohl zumute. So hatte ich sie noch nie erlebt, nicht einmal zu Silvester im Jahr davor, wo wir beide ordentlich einen getrunken hatten. Ich machte mir fast ein bisschen Sorgen, was hatten ihre Freundinnen beim Einkaufsbummel mit ihr angestellt? Ich fragte sie ganz vorsichtig: »Sag mal … hast Du
Weitere Kostenlose Bücher