Freakshow
um, als ob er sich keinen hübscheren Ort für meinen Verbleib vorstellen könnte. »Ich sprach von Yoginda und mir«, erklärte er dann. »Yoginda wird mich nach Kambodscha begleiten.«
»Was reden Sie da für einen Scheiß, Peelaert? Der Junge hat keinerlei Papiere.«
Er hatte gehofft, dass ich das sage, ich sah es ihm an, sah es in der Art, wie er sich um ein peinlich berührtes Gesicht bemühte, dem man den stillen Jubel nicht anmerken sollte.
»Wie bitte?«, fragte er mit gespielter Empörung. »Mein Sohn, mein Adoptivsohn und keine Papiere? Wofür halten Sie das denn?« Er zog einen roten Reisepass aus seiner Jackentasche, klappte ihn auf, hielt ihn mir vors Gesicht. >Yoginda Samphan< stand unter dem Foto. Yogindas Foto. Ich starrte den Pass an und spürte etwas in mir nachgeben, fühlte dieses dumpfe Begreifen, nur noch einen einzigen Schritt entfernt zu sein von einer katastrophalen Niederlage.
»Eigentlich sollte ich Ihnen dankbar sein, Kryszinski.« Peelaert klappte den Pass zu und steckte ihn ein. »Schließlich waren Sie es ja, der mich und Yoginda endlich wieder zusammengeführt hat.« Lächelnd strich er dem Jungen über das schwarze Haar. Yoginda saß stocksteif, reagierte nicht. »Meine Frau und ich können es nicht erwarten, ihm ein liebevolles Zuhause zu schaffen.«
»Du musst nicht mitgehen«, sagte ich zu Yoginda. Der senkte nur den Blick.
»Das stimmt«, bestätigte Peelaert großmütig. »Doch dann düst er schon morgen ab in einen verseuchten Slum in Karatschi.«
»Luxemburg nimmt dich auf«, sagte ich. »Ich habe eine Zusage von den dortigen Behörden.«
»Gilt die auch für die Leute, bei denen Yoginda das letzte Jahr gelebt und die ihn wie ein Familienmitglied behandelt haben?«
»Natürlich«, log ich.
»Blödsinn«, fuhr Peelaert mich an. »Ein Anruf - ein einziger Anruf von mir - und die gesamte Sippe sitzt ruckzuck im nächsten Flieger zurück ins Elend. Und Yoginda weiß das. Denn er weiß natürlich, dass ich bei der Polizei bin.«
»In Kambodscha.«
»Polizei ist Polizei. Oder?« Er sah den Jungen an, der nickte, ohne den Blick zu heben.
»Sie werden es niemals bis zum Flughafen schaffen«, sagte ich, ohne meine Behauptung mit irgendetwas untermauern zu können. Das sind so Dinge, die man in solchen Momenten sagt, auch wenn es einem später peinlich ist.
Peelaert ließ sich lässig in einen Stuhl fallen. »Wer soll mich hindern? Sie etwa? Träumen Sie weiter, Kryszinski. Alles, was Sie mit Ihrer Borniertheit bisher erreicht haben, ist…« Er musste sich die Worte regelrecht abringen, plötzlich gepackt von einem kolossalen Wutanfall. »Alles, was Sie mit ihrer verfluchten Borniertheit erreicht haben, ist, mich um meine Luxemburger Pension zu bringen!«
»Mir kommen die Tränen«, sagte ich, bevor ich mich stoppen konnte. Peelaert ignorierte den Einwurf. Mühsam gewann er seine Fassung zurück. »Und dafür…«, sagte er langsam, zähneknirschend, kam offensichtlich zu einem Entschluss, »dafür werden Sie …« Mit einem Ruck stieß er seinen Stuhl zurück, stellte sich gerade hin, streckte den Arm und richtete die Waffe auf meinen Bauch. Schweiß schoss mir aus sämtlichen Poren, und meine ganze Muskulatur verkrampfte in banger Erwartung des Schmerzes. »Dafür werden Sie leiden.« Er krümmte den Abzugsfinger, die Tür flog auf, und eine massige Gestalt in Hut und bodenlangem Mantel kam in den Raum gestürzt. Peelaert riss den Arm herum, feuerte mehrere Schüsse in denkbar kurzer Reihenfolge ab, und die Gestalt fiel kommentarlos nach vorn und klatschte platt aufs bärtige Gesicht. Praktisch mit ihr zusammen, vorwärts katapultiert von dem fallenden Gewicht, kam eine weitere massige Gestalt in Hemd und Hose direkt hinterhergestürzt, hechtete in einem Satz über den toten Türken und verpasste Peelaert eine Ohrfeige, die den quer durch den Raum bis gegen eine Wand katapultierte, wo er zusammenklappte wie eine losgelassenen Marionette.
»Bist du okay?«, fragte Honka, sah kurz zu mir und trat dann auf das Handgelenk mit der Pistole, dass es knirschte und Peelaert ein hohes Winseln von sich gab. »Bist du okay?«, fragte Honka noch mal, und ich stand vorsichtig auf und inspizierte die Vorderseite meines T-Shirts. Sie war unperforiert, alle Kugeln waren in den toten Türken gegangen. Eigentlich ein Grund zur Freude, doch alles, was ich spürte, war eine immense Leere, eine Unsicherheit, irgendein Gefühl zuzulassen, wie bei einem Passagier, der sich nach einem
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