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Freakshow

Freakshow

Titel: Freakshow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Brecheisen, keine Schrotflinte, ja nicht mal mehr die Kraft meiner Arme. Mir blieb nur noch der Versuch, den Türken von seiner Verantwortung für Yoginda zu überzeugen und zu hoffen. Der Garagenhof lag dunkel und still im fahlen Licht seiner einsamen Laterne und eines untergehenden Mondes. Bald würden die ersten Vögel zu piepen beginnen, doch noch war es Nacht, die stillste, dunkelste Stunde, die Stunde der unruhigen Träume, der Reue und des kalten Schweißes.
    Das Büro im Hinterzimmer der alten Heißmangel war unbeleuchtet. Niemand da. Ich hatte dem Türken zwanzigtausend Euro versprochen, doch das war Stunden her, und er hatte wohl inzwischen die Geduld verloren und war gegangen.
    Gleichzeitig parkte aber sein Benz nach wie vor auf dem Hof, hochglanzpoliert, sternenbestäubt. Leise erklomm ich die drei Stufen zur Tür und drückte die Klinke. Die Tür schwang auf, ich atmete einmal ein, einmal aus und trat ein. Schon mein erster Schritt geriet unsicher auf glattem, glitschigem Grund. Ich schloss die Tür, und meine Sohlen ließen sich nur unter Schmatzen heben, klebten in einer dunklen Lache. Einer Lache, aus der ein warmer, verderblicher Dunst aufstieg, der keinen Zweifel aufkommen ließ, worum es sich handeln könnte.
    Verdeckt von seinem Schreibtisch hockte der Türke auf dem Boden. Er war mit dem Hintern aus dem Stuhl geglitten, aber mit dem Kopf auf der Sitzfläche liegen geblieben, wodurch der Schnitt quer über seine Gurgel in voller, grauenhafter Länge aufklaffte. »Kein schöner Tod, aber ein leiser Tod«, sagte eine Stimme im Dunkeln, und ich warf mich auf die Leiche und griff in die Anzugjacke, griff ins Leere, oder präziser, in ein Schulterholster voll Blut. Peelaert erschien im blassen, durch die Fenster einfallenden Lichtschein, die Pistole des Türken in der Hand. Er umrundete mich in vorsichtigem Abstand, während ich mich aufrichtete, Finger klebrig, Knie weich, und bereute. 0 ja. Ich bereute. Ich bereute es intensiv, nicht auf den Rat meiner Freunde gehört und mich auf direktem Weg ins nächste Krankenhaus begeben zu haben. »Ich habe ihm Geld geboten«, sagte Peelaert und winkte mir mit der Waffe, zeigte auf die Tür, aus der er gerade gekommen war. »Doch er hat mich ausgelacht. Sagte, Sie würden ihm viermal so viel für den Jungen zahlen. Da konnte ich nicht mithalten. Wissen Sie - haben Sie auch nur eine Ahnung«, spie er, »was man in Kambodscha verdient?«
    Die Tür war mit >Wäschelager< beschriftet und führte in einen kahlen, fensterlosen Raum im Mittelteil des Gebäudes, beleuchtet von einer einzigen, baumelnden Glühbirne. Ein ebenfalls fensterloses, schmieriges Bad zweigte auf der einen Seite ab, und das war’s. Yoginda Khan saß auf einem Plastikstuhl an einem Plastiktisch. Er war nicht gefesselt und wirkte unverletzt, doch seine Miene spiegelte die geisterhafte Teilnahmslosigkeit eines Menschen unter Schock. »Peelaert, lassen Sie das Kind laufen und fliegen Sie zurück nach Kambodscha, solange Sie noch können. Die Polizei ist längst unterwegs.«
    Peelaert reagierte nicht, sondern schloss nur die Tür hinter sich.
    »Was ist mit Ihrem Arm?«, fragte er dann, und stupste den Verband mit der Waffe an. »Sie bluten. Und was ist mit Ihrer linken Schulter? Sie halten sie so komisch. Als ob Sie Schmerzen hätten.« Er boxte mit der freien Hand dagegen und presste damit ein Ächzen aus mir heraus. »Sie sind ja invalid, Kryszinski. Ein körperliches Wrack.« Er wandte sich ab, drehte mir gleichmütig und provokant den Rücken zu. »Schade, ich hatte mir von Ihrer Seite ein bisschen mehr Widerstand erhofft. Doch … wo waren wir? Ah, ja - Polizei. Damit habe ich ihm da drüben auch gedroht, als er mein Geld nicht wollte. Und was macht er? Lacht mich schon wieder aus und prahlt, er persönlich habe dafür gesorgt, dass der ganze Häuserblock eine >polizeifreie Zone< sei.« Peelaert stand einen Moment da und schüttelte nachdenklich den Kopf. »Er redete einfach zu viel«, meinte er schließlich.
    Wir reden alle zu viel, dachte ich bitter. »Also, machen wir’s uns gemütlich.« Mit großer Geste wies er mir einen von zwei freien Stühlen an. »Wir haben noch ein paar Stunden Zeit, bevor unsere Maschine geht. Ein wenig von der Zeit möchte ich dem Mann widmen, der meine Existenz zerstört hat.«
    » Unsere Maschine?«, fragte ich.
    »Oh, machen Sie sich keine Hoffnungen, das schließt Sie nicht mit ein. Sie werden hier bleiben, hier in diesen vier Wänden.« Zufrieden sah er sich

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