Freiheit statt Kapitalismus
Gesellschaften für alle besser sind
auf eine Untersuchung über Baseballteams in höheren Ligen hin, die zeigt, dass jene Mannschaften, unter deren Spielern es nur geringe Einkommensunterschiede gab, signifikant besser abschnitten als die mit großen Einkommenskontrasten. 222
Ungleichheit macht einsam und krank
In diesem sehr lesenswerten Buch wird darüber hinaus auf die empirisch messbaren, negativen Begleiterscheinungen großer gesellschaftlicher Ungleichheit hinwiesen. Pickett und Wilkinson weisen nach, »dass eben nicht nur Gewalt und unzureichende Gesundheit, sondern viele andere soziale Probleme verstärkt in Gesellschaften mit ausgeprägter Ungleichheit auftreten«. 223 Dies gilt etwa für die Häufigkeit von Alkohol- und Drogensucht, psychischen Erkrankungen und Säuglingssterblichkeit, für eine niedrigere durchschnittliche Lebenserwartung, schlechtere schulische Leistungen der Kinder und eine hohe Zahl von Gefängnisstrafen. Fasse man die Häufigkeit des Vorkommens dieser Phänomene in einem Index zusammen, zeige dieser ganz klar eine steigende Kurve mit steigender Einkommensungleichheit, während es zum Pro-Kopf-Einkommen keinen Bezug gebe. Die Korrelation zwischen dem Wohlstandsgefälle innerhalb der Gesellschaft und den angeführtennegativen Erscheinungen sei selbst im Vergleich der einzelnen US-Bundesstaaten nachweisbar.
Konkret treten psychische Erkrankungen in Gesellschaften mit hoher Ungleichheit fünfmal so häufig auf wie in denen mit geringerer Ungleichheit. Die Häufigkeit von Gefängnisstrafen liegt ebenfalls fünfmal so hoch. Krankhafte Fettleibigkeit ist sechsmal häufiger und bei den Mordraten ist der Unterschied noch um ein Vielfaches höher.
Ungleichheit wirke, schreiben Pickett und Wilkinson, »wie ein alles durchdringender Schadstoff in allen Bereichen der Gesellschaft«. 224
Die Zunahme sozialer Probleme mit steigender Ungleichheit lässt sich auch im Zeitverlauf belegen. Pickett und Wilkinson weisen darauf hin, dass die Ängste der Menschen in den USA während der letzten vier Jahrzehnte ständig zugenommen haben und in den späten Achtzigern die Ängste bei Kindern höher waren als bei Psychiatriepatienten in den fünfziger Jahren. Der deutliche Anstieg von Depressionserkrankungen in den Industrieländern wird durch zahlreiche Studien dokumentiert. In Deutschland etwa nahmen nach einer Untersuchung der AOK allein von 1995 bis 2008 die psychisch begründeten Krankheitszeiten um 80 Prozent zu. 225
Die Gründe liegen auf der Hand: Je größer die Ungleichheit, desto größer auch die Angst vor dem sozialen Absturz, mit der selbst Menschen leben müssen, die es in die Schicht der Besserverdienenden geschafft haben. Und mit der Angst und dem Leistungsdruck wächst auch der chronische Stress. Susanne Schmidt weist in
Markt ohne Moral
auf die Folgen solcher Dauerstresssituationen hin: »Erfolgreiche, engagiert arbeitende City-Manager wirken häufig älter, als sie sind – Alkohol und Drogen mögen eine Rolle dabei spielen, mit Sicherheit aber der Schlafmangel.« 226 Denn jedem sei klar: »… in der Londoner City kann man eben jeden Tag vor die Tür gesetzt werden, und zwar mit sofortiger Wirkung. Nicht legal, versteht sich, aber in der Praxis eben doch …« 227
Damit verändern sich auch die sozialen Beziehungen zwischen den Menschen: »Wächst die Ungleichheit, dann sorgen sich die Menschen weniger umeinander, es gibt weniger gleichberechtigte Beziehungen, weil jeder schauen muss, wo er bleibt; zwangsläufig sinkt auch dasNiveau des Vertrauens.« 228 Auch das weisen Pickett und Wilkinson mittels Umfragen in verschiedenen Ländern und auch im Vergleich der US-Bundesstaaten nach. Der Mensch ist nicht des Menschen Wolf, aber in Gesellschaften mit extremer Ungleichheit wird er es, weil sie gerade jene Eigenschaften im Menschen fördern und kultivieren – Egoismus, Selbstbezogenheit, Gleichgültigkeit gegenüber anderen –, die er für ein Überleben in einer solchen Umwelt braucht: »Wer in einer Gesellschaft aufwächst, in der es gilt, anderen mit Misstrauen zu begegnen, ständig auf der Hut zu sein und sich alles zu erkämpfen, braucht natürlich ganz andere Fähigkeiten als in einer Gesellschaft, in der es auf Mitgefühl, Gegenseitigkeit und Kooperation ankommt.« 229 Diese Prägung erhalte der Einzelne bereits im Kindesalter.
Dauerstress, Abstiegsangst, Misstrauen, Einsamkeit, Mangel an funktionierenden sozialen Beziehungen aber machen Menschen krank. Das dürfte der
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