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Freitags Tod

Freitags Tod

Titel: Freitags Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kuhlmeyer
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Sophie
    Die Nacht ist weg. Durch den Spalt in den Vorhängen stechen Sonnenstrahlen schmerzhaft in Sophies Augen. Sie wälzt ihren Körper zur Wand. Die Blümchen grinsen rosa. Einem von ihnen kratzt sie die Augen aus. Tapetenflöckchen rieseln aufs Laken. Nun grinst niemand mehr.
    Die Ameisen krabbeln über den Schädel. Links. Nur links. Und der Schmerz ist schon da.
    Sie zieht das Krokodil zu sich heran. Es riecht nach Schweiß – und etwas anderem. Als es zu ihr fand, war sie zwei Jahre alt. Sie weiß es, aber sie erinnert sich nicht. Wenn sie ein Kind hätte, würde sie ihm das Krokodil schenken. Dann bräuchte sie es nicht mehr. Dann hätte sie das Kind.
    Jetzt braucht sie eine Tablette. Die hätte sie schon vor Stunden nehmen sollen. Als sie erwachte, dämmerte es. Der Schmerz klopfte an. Hinter der Braue. Mit kurzen, gleichmäßigen Schlägen. Schatten hielten das Zimmer belagert, hockten hinter den Möbeln, lauerten. Sie war liegen geblieben und hatte gewartet. Nun schwappt die Übelkeit heran, und der Schmerz hämmert sich quer durch ihr Hirn. Sie weiß, dass die Tablette ihr nicht mehr viel helfen wird. Nun nicht mehr. Nun hilft nur die Zeit. Der große Zeiger des Weckers steht auf der Zwölf, der kleine auf der Sieben. Zwölf und Sieben. Neunzehn.
    Sie schiebt die Beine aus dem Bett. Ihr schwindelt. Zwanzig, einundzwanzig. Das Teppichmuster unter ihren Füßen hat dreiundsechzig rostrote Würfel. Sie verbinden Schrank und Schreibtisch. Sie verbinden alles in diesem Zimmer. Alles, was zählt. Sophie zählt. Zwischen Nummer achtunddreißig und zweiundvierzig steht ihr Pantoffel. Als sie sich bückt, um ihn zur Seite zu schieben, explodiert der Schmerz. Sie muss von Neuem anfangen zu zählen. Dann schafft sie es, genau dreiundsechzig Würfel, und darf in die Küche. Sie schleicht die Treppe hinab. Ihr Kopf ist groß und schwer, kaum zu tragen. Sie muss vorsichtig sein.
    Das Haus liegt still. Stiller als sonst. Draußen schnurrt ein Auto vorbei. Vögel kreischen. Draußen. Die Küche stinkt nach Flieder. Übelkeit würgt im Hals. Streifen von Sonnenlicht zerschneiden alles, den Tisch, den Schrank, den Boden. In Toms Küche war es anders, staubig und freundlich. Schmutziges Geschirr auf dem Tisch und ein Blues zwischen den Wänden. Tom. Weit weg, unerreichbar. Sie hat ihn gleich gemocht. Selbst als Bruder.
    An einem normalen Freitag wäre Kaffeegeruch durch den Raum gezogen. Mama hätte Brote geschmiert, schweigend wie immer. Vater hätte die Zeitung gelesen. Sophie hätte auf das Geräusch der Tür gewartet, die hinter ihm ins Schloss fiel, oben bei ihrem Krokodil. Ko heißt es. Nun gibt es nur sie und Ko. Wo Mama ist, weiß sie nicht, will es nicht wissen. Vielleicht starrt sie an die Schlafzimmerdecke. Vielleicht auch nicht. Vater ist fort. Das weiß sie. Sicher. Oder nicht? Was ist schon sicher? Vielleicht sollte sie zu Tom fahren. Er ist anders. Anders als Henry. Sie kann Ko nehmen und verreisen.
    Sophie kramt in der Schublade, findet eine Packung Schmerzmittel und schiebt eine Schmelztablette unter die Zunge. Sie plumpst auf einen Stuhl und die Zeit bricht ab. Ihr ist kalt. Daran merkt sie, dass Zeit vergangen ist. Sie weiß nicht wie viel. Viel kann es nicht sein. Der Kopfschmerz bleibt. Die Migräne wird noch Stunden weiter wüten. Sophie schleppt sich nach oben und wartet.

1
    Irina Glück wäre nicht zur Arbeit gekommen, nicht an diesem Freitagmorgen, nicht, wenn sie geahnt hätte, was sie erwartete. Sie hielt sich am Türpfosten des Büros aufrecht und rang nach Luft, die Augen fest geschlossen, damit sie nicht sehen mussten. Am Abend zuvor war ihr nicht wohl gewesen, und nun fühlte sie, wie der Brechreiz zurückkehrte. Sie hätte den Wecker ignorieren und der aufgehenden Sonne den Rücken zudrehen sollen. Aber so war sie nicht. Mit Bitterkeit stellte sie fest, dass sie die Flure des Seniorenheims genauso pflichttreu putzte, wie sie in ihrer ukrainischen Heimat die Kranken gepflegt hatte. Also hatte sie sich aus dem Bett gequält, war durch die Stadt geradelt und hatte im Putzraum des zweiten Stocks ihren Eimer mit Wasser gefüllt. Systematisch hatte sie sich bis ins Erdgeschoss vorgearbeitet und vorbeihuschenden Pflegerinnen ihr fröhliches »Hallo« zugerufen. Fast fertig und in Gedanken schon mit den Kindern ihrer Cousine auf dem Spielplatz, hatte sie den Putzwagen abgestellt und die Bürotür des Geschäftsführers geöffnet. Dann war sie erstarrt.
    Hinter geschlossenen Lidern suchte sie ein

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