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Fremd küssen. Roman

Fremd küssen. Roman

Titel: Fremd küssen. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi von Wolff
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versuche heute ständig, es mir wieder abzugewöhnen, und schaffe es auch immer für ein paar Monate. Und dann fange ich wieder damit an. Mein Freund Gero behauptet, ich würde das unterbewusst machen, um mich selbst zu quälen. Psychotherapeuten nennen es sogar »Selbstverstümmelung«. Haha.
    Als hätte ich so nicht schon Ärger und Chaos genug. Ich bin jetzt 34  Jahre alt und habe das Gefühl, noch keine 20 zu sein. Aber dazu später mehr.
    Jetzt muss ich also erst mal zu Richard. Ich lasse den ganzen Kram liegen und gehe ein Stockwerk höher. Richard hat keine Klingel und möchte auch nicht, dass man bei ihm klopft. Seitdem er einen Volkshochschulkurs besucht hat, der sich mit übersinnlicher Wahrnehmung beschäftigte, glaubt er, Menschen vor seiner Tür spüren zu können. Selbstverständlich fand dieser Kurs abends im Winter statt. Um Richard also ernst zu nehmen, habe ich es mir angewöhnt, vor seiner Tür entweder ganz laut zu hyperventilieren oder aber einen Hustenanfall zu bekommen. Er öffnet dann immer sofort und sagt: »Ich habe gewusst, dass du vor der Tür stehst!«
    Ich huste laut. Die Tür geht auf und Richard sagt: »Ich habe gewusst, dass du vor der Tür stehst!« und lässt mich rein.
    »Richard«, sage ich, »könntest du eben mit runterkommen und mir ein beklopptes Regal zusammenbauen? Ich kriege sonst einen Nervenzusammenbruch.«
    Richard schaut auf seine geschlossenen Klappläden. Die Schlitze reflektieren nichts. Keine Sonne. Fast schon dunkel. Er kann also ohne Mantel und Mütze die zwei Treppen runter in meine Wohnung laufen, ohne durch den Lichteinfall im Treppenhaus eine UV -Vergiftung zu bekommen.
    »Okay«, sagt er und kommt mit. Bei mir angekommen, kickt er die Gebrauchsanweisung mit dem Fuß zur Seite, nimmt einen meiner Kreuzschlitzschraubenzieher und baut das Regal in genau 27 Sekunden zusammen, ohne es sich dabei auch nur einmal genau ANZUSCHAUEN ! Ich komme mir vor wie der letzte Depp. »Du denkst auch, ich bin total blöd, oder?«, frage ich. »Nein nein«, sagt Richard. »Es muss doch nicht jeder alles können. Dafür kannst du andere Sachen ganz prima!«
    Ich bin erleichtert. »Was denn?«, frage ich erwartungsvoll.
    Richard öffnet den Mund und schließt ihn nach einer Weile wieder. Ihm fällt offensichtlich nichts ein. Ich frage auch nicht noch mal. »Wo willst du das Regal denn hinstellen?«, will Richard stattdessen wissen und schaut sich um.
    »In den Flur«, sage ich, »genau neben die antike Garderobe. Es passt genau hin. Auch von der Holzmaserung her. Und ich habe alles genau ausgemessen!« Ich berste vor Stolz.
    Wir gehen in die Diele und ich zeige Richard die Stelle, wo ich das Regal hinstellen möchte. Richard schaut mich nur an.
    »Was ist?«, frage ich. »Schau doch!« Ich ziehe das Regal vom Wohnzimmer in den Flur und rücke es genau neben die Garderobe. Richard schaut mich immer noch an. Was ist denn? Sitzt eine Spinne auf meiner Nase? Habe ich vielleicht ein Loch in der Backe, ohne dass ich es weiß? Blute ich aus den Augen?
    Richard fragt: »Und wenn ich jetzt gehen möchte?«
    Was ist los mit ihm? »Dann geh doch«, sage ich.
    Richard greift an die Türklinke und will die Tür öffnen. Die Tür lässt sich nicht öffnen, weil das Regal direkt davor steht. Ich renne ins Wohnzimmer, werfe mich auf die Couch und fange laut an zu heulen. Richard sucht währenddessen einen geeigneteren Platz für das Regal.
     
    Zwei Stunden später haben wir die dritte und letzte Flasche Prosecco geleert und streiten darüber, ob wir mit Amaretto oder Sherry weitermachen sollen. Wir spielen »Wer zuletzt keine Antwort mehr auf eine Frage weiß, hat verloren« und Richard lässt mich gewinnen (ich weiß, dass er weiß, dass Mozart die Zauberflöte komponiert hat, ich habe die CD bei ihm gesehen), wahrscheinlich, um mir einmal ein Erfolgserlebnis zu gönnen. Ich wanke in die Küche, um die Sherryflasche zu holen. Wo ist sie nur? Da höre ich aus dem Wohnzimmer ein ohrenbetäubendes Geschmetter. Ich rase zurück. Richard ist panisch dabei, die Fensterläden zu schließen, obwohl um 23 Uhr auch nicht mehr nur ein Rest Sonne zu sehen ist.
    »Was machs’n du?«, lalle ich, während ich sehe, dass sämtliche Gläser aus meiner Vitrine kaputt auf dem Boden liegen. »Spinns du oda was?« Richard ist völlig aufgebracht. Stammelnd versucht er mir zu erklären, dass eine Straßenlaterne, die direkt in das Fenster leuchtet, zu allem Unglück auch noch in die Vitrine gestrahlt hätte. Das

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