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Fremde

Fremde

Titel: Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gardner R. Dozois
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kurze Nackenhaar zu Berge stand und sein Mund trocken wurde. Es war unheimlich, diesen stolzen gerüsteten Geist zu betrachten und daran zu denken, welche Zeitalter von Kämpfen und Schlachten er repräsentierte, die sich endlos wie ein langer, blutiger Schatten bis zu diesen Tagen hinstreckten – eine unvorstellbare Zeitspanne, die er nur intuitiv erfassen konnte –, als die Cian kriegerische Barbaren gewesen waren, als die Häuptlinge von Shasine und die Herren von Aei hier mit Feuer und Schwert ein Reich errichtet hatten und vielleicht ganze Rassen eines unbekannten Volkes unter ihren Stiefeln knechteten …
    Nachdenklich verließ Farber das Museum durch einen Seiteneingang, der ebenfalls offenstand. Er fand sich am Rand der Esplanade, blieb einen Moment stehen und blickte über die Brüstung hinab auf die Neustadt. Dort lag die Enklave, deren hohe Glastürme in unmäßigem Glanz den Rest der Stadt überragten, und ihm kam eindringlich zu Bewußtsein, wie fremdartig sie aussahen, wie rätselhaft und riesig diese hohen Gebäude waren mit ihren leeren schwarzen Glasfenstern und den rasiermesserscharfen Ecken, wie kalt und arrogant sie wirkten, wie unergründlich und stolz diese Rasse von Riesen sein mußte, die sie errichtet hatte.
    Das hier war nun seine Heimat, wurde Farber sich bewußt, diese kalte Steinstadt um ihn her, ein fremder Ort, unzugänglich und verboten.
    Als er den Drachenhügel wieder hinaufging, in das felsige Innere der Altstadt stieg, spürte er die düstere Stille seiner neuen Heimat in sich eindringen wie eine Welle, und wieder schauderte ihn.
     
    Farber war jeden Tag allein im Haus, von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. Allmählich ging es bergab mit ihm.
    Sein Verfall geschah langsam und subtil, so wenig feststellbar, daß man nichts von einem Tag auf den anderen merken konnte. Gewiß war er sich dessen nicht bewußt und er hätte es abgestritten, wenn man ihn darauf hingewiesen hätte. Dennoch wurde er jeden Tag lethargischer, tat weniger. Jeden Tag – ganz allmählich – wurden seine Gedanken etwas dumpfer.
    Wenn er ein anderer Mensch gewesen wäre – vielleicht Ferri, trotz dessen Fehler –, oder älter und schon gereifter, wäre es vielleicht nicht passiert. Ein anderer Mensch hätte vielleicht versucht, seine neue Umgebung in den Griff zu bekommen, sie genau zu analysieren, oder er hätte sich ihr angepaßt; ein anderer Mensch wäre vielleicht hinausgegangen und hätte sich etwas zu tun gesucht, eine Möglichkeit, sich zu beschäftigen, hätte vielleicht eine neue Leidenschaft entdeckt, neue Interessen, neue Betätigungsfelder, neue Ziele, neue Aufgaben. Aber Farber war wie er war. Er war er selbst, und so geschah es. Es ging bergab mit ihm. Er war kein dummer Mensch oder ein unsensibler, doch seine Gedanken und Methoden waren auf die starre, spezialisierte Weise seiner Zeit herangebildet, die Spontaneität ausschloß, und er konnte nicht mit einer Situation fertig werden, auf die keine der alten, erlernten Antworten mehr paßte. Außerdem hatte er gewaltige emotionale Schwierigkeiten – hatte er doch gerade eine Reihe langer, aufreibender und durchgreifender Schocks durchgestanden, von denen seine ganze Identität zu Staub zermahlen worden war.
    Er war er selbst, und es ging ihm schlecht. Es gab nichts zu tun. Es hatte keinen Sinn, eine Arbeitsstelle zu suchen – Lirauns Einkommen zusammen mit seinem Co-Op-Stipendium reichten für sie beide mehr als aus. Er wanderte in düsterer Bekümmertheit durch die Stadt, bis er es satt war, Altstadt und Neustadt, hinauf und hinab, nach Osten und Westen. Also blieb er daheim, blieb immer öfter in seinen vier Wänden. Blieb eine Woche lang zu Hause und merkte es erst, als er rückblickend die Tage nachzählte. Er zuckte die Achseln und lächelte und verdrängte es.
    Es ging bergab.
    Nach einem derart verbrachten Monat raffte er sich auf und strengte sich an, aus seinem langweiligen, gleichförmigen Purgatorium auszubrechen. Er wollte malen. Seine Sensi-Ausrüstung stand ihm nicht mehr zur Verfügung, aber früher hatten Künstler auch mit ihren eigenen Händen gearbeitet, und das würde er auch können. So entwickelte er dann eine Zeitlang eine großartige, erzwungene Aktivität und künstlerische Energie, ging hinab in die Neustadt – das erste Mal seit wann? –, kontaktierte Ferri, ließ sich von ihm Leinwand, eine Staffelei und Farben und Pinsel bei der Co-Op besorgen, wo man sie für jene zahlreichen Hobbymaler der Enklave

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