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Fremde

Fremde

Titel: Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gardner R. Dozois
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Entscheidung zu beeinflussen versucht. Das ist der Grund für diese angespannte, abwartende Stille. Sie will ein Kind.
    Er starrte sie an und wartete ab, bis er sich an diese Vorstellung gewöhnt hatte.
    Schließlich war seine erste Reaktion: Nun, warum nicht? Sie brauchte etwas für sich selbst. Gott wußte, sie hatte wenig genug von ihm in dieser Zeit. Wenn sie es wirklich wollte, warum sollte sie es nicht haben? Das schuldete er ihr, vielleicht auch noch mehr, weil sie mit einem so traurigen Narren wie ihm zurechtkommen mußte. Außerdem … vielleicht würde es die Dinge ins Lot bringen. Nicht nur für sie, sondern für alle. Auch für ihn. Nun, wenn es ihm besser ginge, hätten sie eine Familie, und wenn es ihm schlechter ginge, hätte sie wenigstens das Baby zum Trost.
    »Hättest du gerne ein Kind, Liraun?« fragte er mit zurückhaltender Stimme.
    Ihr Gesicht wurde leer.
    »Mein Mann«, sagte sie nach einer beträchtlichen Pause, »erinnerst du dich bei dem Alàntene an eine Gruppe von Älteren am anderen Ende des Strandes, Twizan, die anstatt zu singen oder zu tanzen sprachen?«
    »Ja.«
    »Diese Twizan führten die Geschichte von der Ersgen-Frau auf. Und das ist, in anderen Worten, die Geschichte.« Sie nahm eine deklamatorische Pose ein und begann mit leicht veränderter Stimme: »In den Ersten Tagen, ehe die Welt ganz erstanden war und ehe die Harmonie sich entwickelt hatte, gab es kein Leben auf dem Land. Alle Wesen, die da lebten, weilten in der Alten See. Unter ihnen waren die Ahnen, denn zu diesem Zeitpunkt weilten die Ahnen noch im Bauch des Meeres. Nun stiegen die Ahnen auf und ab im Leib des Meeres, und sie gingen hinaus und hinein, und in ihrem Stolz nannten sie sich die Herren von Allen Dingen, denn sie waren noch unwissend und dachten, der Leib sei schon die Welt. Und sie nannten den Leib die Gegenwärtige Welt und sich selber ihre Herren. Das war eine Beleidigung gegenüber der Ungeborenen Harmonie. Daher schickte der Erste Obere, als er es merkte, den Ahnen aus dem Raum eine Strafe. Es schlug sie nieder, und der Schlag war so: Der Leib-Ozean wurde versengt und verschrumpelt, und die Ahnen wurden alle getötet, außer zweien. Die Knochen der Ahnen versenkte man an dem Ort der Strafe in der Alten See, doch die beiden Übriggebliebenen wurden nackt auf das Land geworfen, weil der Leib sie nicht mehr halten wollte. Das waren der Erste Mann und die Erste Frau. Sie standen in der kahlen Wüste, und nichts regte sich in der Welt, weil das Land kein Leben hervorbringen konnte, wenn auch die Zeit schon begonnen hatte. Als die Erste Frau dies sah, wußte sie, was sie tun mußte, und sie sagte: »Ich werde mich selber geben und der Erde durch mein Blut Leben schenken.« Und dann nahm der Erste Mann das Blut der Ersten Frau und machte daraus die klaren Flüsse, die über die Erde rinnen, und die Seen im Inland. Und er nahm die Fäkalien der Ersten Frau und machte daraus Fruchtbare Erde, die das Land bedeckt und das Haus des Lebens ist, und aus dem Haar der Ersten Frau machte er alle Pflanzen und Bäume, die auf der Welt sind und in der Fruchtbaren Erde wurzeln. Dann zerbrach der Erste Mann den Körper der Ersten Frau, und sie schrie vor Schmerzen, aber er formte ihre Körperteile wie Ton, und aus ihnen machte er alle Tiere, die es auf der Welt gibt, und alle Menschen, die auf der Fruchtbaren Erde weilen. Aber der Schrei des Schmerzes der Ersten Frau entkam, und ihre vier Seufzer wurden zu den vier Winden, die auf immer über die Welt wandern, auf der Suche nach dem Nachlassen des Schmerzes, der nicht mehr darin liegt. Und so ist es immer die Pflicht der Abkömmlinge der Ersten Frau gewesen, der Welt ihren Körper zur Verfügung zu stellen und unter Schmerzen Leben zu gebären.«
    Liraun verstummte.
    Das war es also.
    Farber lachte fast.
    Er hatte wieder ihren »umschreibenden, symbolischen« Kreislauf angeregt, und sie war voll darauf abgefahren. Er hatte nur wenig aus ihrer Rede entnommen, außer der Tatsache, daß es ihre Pflicht gegenüber Gott war, Kinder zu gebären. Er nahm an, ihre Antwort auf seine Frage laute »ja«.
    Liraun beobachtete ihn eindringlich.
    »Meine Frau«, sagte er mit großem Ernst und erwiderte ihren Blick. »Ich habe beschlossen, daß dies der Zeitpunkt ist, da du empfängst und Kinder bekommst.«
    Ihre Augen wurden undurchdringlich.
    »Ich höre dich, mein Mann«, sagte sie mechanisch. Dann folgte eine beträchtliche Pause, lange genug, daß er sich fragte, ob sie ohnmächtig

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