Fremde Wasser
sie sich auf einen Betrag geeinigt, der Dengler
astronomisch hoch vorkam. Wie wollte der älteste Sohn diesen Betrag aufbringen? Dazu erfuhr er nichts.
Mittlerweile war es Nacht geworden. Dengler sah auf seine Uhr. Halb elf. Er war müde. Ob Olga noch unten im Basta saß? Da fiel ihm ein, dass er ihr versprochen hatte, sie mit der Großmutter der toten Abgeordneten bekannt zu machen. Ob er
sie um diese Zeit noch anrufen konnte? Er nahm den Kopfhörer ab, legte ihn auf das Gehäuse des Computers undkramte auf dem Schreibtisch herum. Irgendwo musste der Zettel doch sein, auf dem er sich die Telefonnummer des Hotelzimmers
der Frau aufgeschrieben hatte. Er fand ihn unter seinem schwarzen Notizbuch. Er zögerte nur kurz, dann wählte er.
»Hallo?« Die alte Dame nahm nach dem ersten Klingeln ab. »Ich bin's. Georg Dengler. Entschuldigen Sie die späte Störung. Ich
habe noch einige Fragen. Können wir uns morgen noch einmal sehen?«
Die alte Frau schien zu zögern.
»Ich habe auf Ihren Anruf gewartet. Immerhin habe ich dem Heiligen Antonius heute noch einmal 10 Euro gebracht. Wahrscheinlich
war er überrascht, dass es das Doppelte von dem war, was er sonst bekommt. Nicht dass er bestechlich wäre. Aber der Heilige
Antonius hört besser auf die Gebete, wenn man ihm etwas bringt. Verstehen Sie? Um was geht es?«
»Nicht am Telefon. Können wir uns morgen sehen? Ich hole Sie mit meiner Assistentin um zehn Uhr im Hotel ab. Ist das in Ordnung?«
»Gut«, sagte sie und legte auf.
Er schüttelte den Kopf. Mehr denn je schien ihm dies ein Fall, von dem er besser die Finger lassen sollte. Eine abergläubische
Klientin – das war das Letzte, was ihm jetzt noch fehlte. Sein Blick fiel auf die Madonnenstatue auf dem Wandpodest. Vielleicht
sind alle Menschen ein wenig abergläubisch. Sofort dachte er an seine Mutter. Er griff zum Telefonhörer, wählte ihre Nummer,
legte dann aber den Hörer wieder auf. Ihm war nicht nach Vorwürfen. Er hatte sie schon seit zwei Monaten nicht mehr besucht,
und genau das würde sie ihm vorwerfen.
Er schrieb auf ein großes Blatt: »Morgen früh gehen wir zur Freundin des Heiligen Antonius. Frühstücken wir vorher zusammen
um 9 Uhr in Brenners Bistro?« Er legte das Blatt vor Olgas Tür. Gähnend ging er zurück in sein Zimmer. Eine halbe Stunde später
schlief er fest.
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»... nicht mehr über die Sache mit den chinesischen Herzklappen reden. Es war ein Irrtum. Gut, ich dachte, ich würde ein Geschäft
machen. Ein richtig gutes, dickes Geschäft. Und das war es ja auch. Am Anfang. Alle verdienten. Und dann sollten die Dinger
nicht sauber abschließen. Ich glaube das bis heute noch nicht. Ich glaube eher, dass den deutschen Lieferanten dadurch ein
Geschäft entgangen ist, eben auch ein gutes, dickes Geschäft. Ich könnte Namen nennen. Aber das ist Schnee von gestern. Damals
war ich am Ende. Ich war kein Arzt mehr. Zwölf Jahre Barras und das Studium an der Hochschule der Bundeswehr! Meine Promotion!
Alles weg! Die Hetze in der Bild-Zeitung: Der Doktor, der über Leichen geht. Schadensersatzforderungen und ein Prozess, nach
dessen Ende ich für einige Jahre ins Gefängnis marschieren konnte. Das waren meine Aussichten. Annette verließ mich und nutzte
die Gelegenheit – sie räumte die komplette Wohnung aus. Ich war am Ende. Mehr als das: Ich war fertig. So fertig, wie ein
Mann nur sein kann. Zum ersten Mal seit Kindheitstagen ging ich wieder in die Kirche und betete. Inbrünstig wie als Neunjähriger.
Ich beichtete. Ich versprach Gott alles, alles, wenn er mir nur einen Strohhalm hinhalten würde. Nur einen gottverdammten
einzigen Strohhalm.
Und es klappte. Dann kam dieses Angebot. Nicht nur ein Strohhalm. Sie reichten mir einen ganzen Heuhaufen. Ich sollte den
Prozess durchstehen. Mir keine Sorgen machen. Für mich würde gesorgt. Man sei an meiner kombinierten militärisch-medizinischen
Ausbildung, an meinen kardiologischen Kenntnissen interessiert. Das klang gut. In den Ohren von einem, der keine Perspektive
mehr hatte außer dem Sturz in den Abgrund. Als habe der Himmel eine Kompanie Schutzengel geschickt. Weil meine Probleme einerallein nicht schaffen konnte. Und dieser Engelschor sang: kein Gefängnis, keine Schulden, ein neues Leben mit Geld und allem,
was dazugehört. Ich griff danach und zog mich aus dem Schlamassel raus. Das kann man verstehen, glaube ich. Am Anfang schien
der Preis ja auch
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