Fremde Wasser
Mädchen. Maria. Er konnte keine Kinder ... Sie wissen schon ... An Angelika lag es jedenfalls
nicht. In unserer Familie konnten alle Frauen ..«
»Hatte Ihre Enkelin Feinde?«, fragte Dengler.
Sie starrte ihn mit großen Augen an.
»Um Himmels willen: nein! Nicht dass ich wüsste.«
So kommen wir nicht weiter.
Dengler sagte: »Wenn ich Sie richtig verstehe, glauben Sie nicht, dass Ihre Enkelin eines natürlichen Todes gestorben ist.
Also glauben Sie, dass sie ermordet wurde. Wer hatte ein Interesse an ihrem Tod?«
Die alte Dame sah ihn erschrocken an, als würde ihr erst jetzt die Tragweite ihres Auftrags bewusst werden.
»Ich weiß nur, dass sie ein starkes Herz hatte«, sagte sie kleinlaut. Tränen traten in ihre Augen.
»Gibt es jemanden, der von ihrem Tod Vorteile hat?«, fragte Georg Dengler vorsichtig, »zum Beispiel in der Partei. Gab es
Leute, die ihr das Mandat neideten?«
»Ha«, erneut stieß sie den Stock auf den Boden, »was glauben Sie, wie es da zugeht! Sie war ständig auf der Hut. Immer gab
es welche, die selbst Abgeordnete werden wollten. Aber Angelika kannte sich aus in diesem ..«
Sie zögerte und blickte zu Boden.
»... Gestrüpp«, sagte sie schließlich.
»Ihr Mandat war nicht gefährdet?«
»Soweit ich weiß – nicht.«
»Haben Sie sonst irgendwelche Hinweise, dass der Tod Ihrer Enkelin keine natürliche Ursache hatte?«
Ich verfalle in den Bullenjargon, dachte Dengler und blickte zu Olga, die die alte Dame nachdenklich betrachtete.
»Ich weiß nicht...«
»Georg erzählte mir, dass der Heilige Antonius Ihr Schutzpatron ist«, sagte Olga vorsichtig. Sie griff nach der Hand der alten
Dame. Georg Dengler bemerkte erst jetzt, dass sie zitterte.
»Mir hat der Heilige Antonius auch einmal geholfen«, sagte Olga. »Ich war in einer ausweglosen Situation und betete zu ihm,
und wie durch ein Wunder wurde ich befreit.«
»Befreit?«, fragte Georg Dengler verwundert.
»Von meinen Sorgen befreit«, sagte sie schnell. »Ich schulde dem Heiligen Antonius einiges.«
»Ich bringe ihm, sobald ich etwas verlegt habe oder seine Hilfe brauche, fünf Euro. Probieren Sie das mal. Es hilft eigentlich
immer.« Die alte Dame kicherte leise. »Ich könnte Ihnen Geschichten erzählen ... Aber ...«
Sie sah Dengler direkt in die Augen.
»Werden Sie für mich herausfinden, was mit Angelika geschehen ist?«
Dengler sah zu Olga hinüber, die ihm stumm zunickte.
»Ich brauche noch einige Informationen«, sagte er und zog sein Notizbuch aus der Tasche.
* * *
Als sie zurück ins Bohnenviertel gingen, hakte sich Olga bei ihm unter.
»Ich bin froh, dass du diesen Auftrag angenommen hast«, sagte sie.
»Und keinen Vorschuss verlangt habe?«
»Auch das.«
»Nun erzähl mir, aus welcher Situation du befreit wurdest und wer außer dem Heiligen Antonius noch dabei war.«
»Später«, sagte sie, »wenn wir einmal ein bisschen Ruhe haben.«
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Heidelberg
Stefan C. Crommschröder studiert nach dem Abitur Volkswirtschaft am Alfred-Weber-Institut in Heidelberg. Im Nebenfach belegt
er Soziologie. Er will ein großer Nationalökonom in der Marx'schen Tradition werden, doch als er das Studium beginnt, wird
Marx schon lange behandelt wie ein toter Hund. Er überlegt, an die FU nach Berlin zu Elmar Altvater zu wechseln, aber Heike,
die ihm zuliebe in Heidelberg Germanistik und Kunstgeschichte studiert, weigert sich, Baden-Württemberg zu verlassen. Sie
hätte am liebsten in Tübingen studiert. Heidelberg reicht, sagt sie. Und so bleiben sie.
Mit großer Begeisterung liest er Max Weber, erkennt die gleiche umfassende Belesenheit wie bei Marx. Und doch, bei Weber ist
das unerreichte Ziel, Marx zu widerlegen, aus jeder Fußnote zu spüren. Für Crommschröder bleibt er bestenfalls die Nummer
zwei.
In Volkswirtschaft hält Crommschröder zwei große Referate über Schumpeter: eines über dessen Theorie der schöpferischen Zerstörung
und eines über die Idee, dass in einer stationären Volkswirtschaft der Zins gleich null sein müsse. Dann entdeckt er Keynes
und stürzt sich mit ebenso großem Enthusiasmus auf dessen Schriften zur Steuermacht der Binnenkonjunktur.
Im gleichen Semester gibt es einen brillanten Studenten, von dem alle munkeln, er sei ein Enkel oder ein Urenkel des berühmten
Volkswirtschaftlers Ludwig von Mises. Dieser Kommilitone formuliert wie gedruckt aus dem Stegreif, ist der Liebling der Professoren
und mit Abstand der Student mit den besten
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