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Fremde

Fremde

Titel: Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gardner R. Dozois
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bereithielt, über die Farber noch vor ein paar Wochen gespottet hatte.
    Er bekam seine herausgeschmuggelten Sachen und verbrachte die folgenden drei Tage damit, zu malen. Er versagte. In der Schule hatte er ein wenig Zeichenunterricht gehabt, aber es half nichts, und nachdem er mit einer Maschine gearbeitet hatte, die seine Gedanken direkt in Bilder transformierte, seine Phantasien in Filme, besaß er nicht mehr die Geduld, Tausende von Stunden damit zu verbringen, Hand und Pinsel und Auge zu koordinieren. Es war ein verzweifeltes Scheitern. Sein Mißerfolg war vernichtend. Seine Farben waren entweder ekelhaft oder aufdringlich oder banal. Die Proportionen stimmten alle nicht. Seine Menschen sahen wie Frösche aus, die Bäume wie zerrupfte Staubwedel, die Berge wie große, schleimige Massen zerbrochener Eierschalen. Er keuchte vor Wut, zerbrach die Staffelei, zerriß die Leinwand und verbrannte alles.
    In jener Nacht wachte er schreiend aus Träumen auf, an die er sich nicht mehr erinnern konnte.
     
    Er glitt weiter bergab.
    Das Furchtbare und die Isolation seiner Lage begannen mit ungeheuerer Macht auf ihn einzustürmen. Seit dem ersten Augenblick auf diesem Planeten hatten Ängste an ihm genagt, doch nun, wo er von den anderen Menschen abgeschnitten und seine Karriere zum Teufel war, drangen diese Ängste direkt und mächtig auf ihn ein, und Lirauns Freundschaft und Liebe reichten nicht mehr, ihn zu schützen. Sie war seine Stütze gewesen, doch nun war selbst sie unter ihm fortgebrochen.
    Eine Woche lang wachte er jede Nacht schreiend auf und wußte nicht, warum.
    Dann – und das war noch schlimmer, es war das nackte Grauen – begann er, sich an seine Träume zu erinnern.
    Er träumte oft vom Alàntene, lange, verzögerte Alpträume voller greller, kreischender, leiser Töne und toter, bedrückender, fast nicht wahrnehmbarer Zombiebilder, voller schrecklicher, schmieriger Darstellungen von ihm selbst und Liraun, unerträglich, weil der Alàntene das Zentrum der Zeit war und dort alles ewig so sein würde, wie es einmal gewesen war.
    Er träumte von Treuchlingen, von den Bauernhöfen, dem Geruch frischgemähten Grases, den Bergen, der staubigen weißen Stadt, die in der Sonne schlief, den rotziegeligen Dächern, den hohen Kirchtürmen, den Leuten auf dem Marktplatz, den Kreidefelsen, der Donau, die sich bei Kelheim durch diese Felsen ergoß – und dann veränderte sich der Traum! Erdbeben! Der Boden rauchte und sank, als sei er von einem riesigen gespaltenen Huf getroffen worden: Die Erde öffnete sich, warf sich hoch, mahlte, die ordentlichen Ziegeldächer wurden zu Stäubchen zermalmt, gingen in Flammen auf – Krieg! Nur Minuten von der Grenze entfernt blitzten die schimmernden Silbernadeln auf, hinterließen nichts als Asche und Geister und geschmolzene Quarzteiche, geschmolzene Aschegeister, Quarzitknochen – Nova! Der Ausbruch grellen Lichts raffte die Luft hinweg, ließ die Meere aufbrodeln, buk das Land zu Schlacke – ein Meteor pulverisierte den Globus, die sich neigende Achse peitschte die Welt hinweg, der Mond fiel herab wie eine schwangere Porzellankuh, die Meere ergossen sich über das Land, die Eiszeit ließ den Planeten ruhig und still werden, Pilze überzogen die Erde mit einem rostbraunen Leichentuch – und das alles Nacht für Nacht. Selbst im Schlaf sagte sich sein Verstand, daß keines dieser Dinge passieren könnte, doch sein Bauch sagte ihm: Wer weiß, was mit einer Erde geschieht, die zwischen den Sternen verlorengegangen ist? Und es war der Bauch, der die Träume regierte. Er hatte eine unvernünftige, solipsistische Vorliebe, die ihn fühlen ließ, die Erde könne ohne ihn nicht weiterexistieren; nun, da er gegangen war, wäre sein Schutz nicht mehr vorhanden, und alle Katastrophen, die er durch persönliche Willenskraft von der Erde ferngehalten hatte, würden nun alle auf einmal passieren. In seinen Träumen taten sie es. Und er erwachte von seinen eigenen Schreien.
    Er träumte auch, er sei wach und wollte aufstehen und zum Fuß einer Treppe gehen, die nach oben führte, und der Spiegel an der Wand dort spiegelte ihn wider – verzerrt, verdreht, schleimig, picklig, narbig, mit Hörnern, Klauen und Dämonenaugen – ein Monster.
    Er träumte, Liraun gebar einen Wurm, der winselte.
    Er begann zu trinken.
    Farber hatte nie etwas gegen einen gelegentlichen Drink gehabt, aber nun begann er richtig zu trinken – zunächst nur in begrenztem Umfang, dann mehr und mehr. Es half.

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