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Fremde

Fremde

Titel: Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gardner R. Dozois
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Farber, wenn auch »bestrafen« ein zu hartes Wort schien. Farber hatte kein terranisches Gesetz gebrochen – nur Direktiven der Co-Operative. Keane besaß in bestimmten Situationen über die Terraner gesetzliche Gewalt, doch diese waren scharf umgrenzt. Er konnte Farber nicht wegen nichts anklagen. Er konnte ihn auch nicht von der Erde ausweisen; als terranischer Bürger hatte er das Recht auf einen Transfer zur Erde, falls notwendig, wenn es ihn auch ein paar Jahre dauern konnte, die nötigen Verbindungen zu schaffen. Auch konnte Keane Farber nicht sein kleines regelmäßiges Stipendium vorenthalten, das zu seiner Unterstützung diente. Das Gesetz – von den Sozialisten durchgesetzt – bestand darauf, um so die Drohung der Entlassung durch die Co-Operative und damit das möglicherweise fatale Zurücklassen eines Menschen in einer fremden Gesellschaft als jene unberechenbare Waffe zu entschärfen, die sie sonst hätte sein können. Keane hatte aber die Macht, über die Anlagen der Co-Operative auf »Lisle« zu verfügen, und er konnte Farber jede Benutzung der Einrichtungen der Co-Op dort verbieten. Dies beinhaltete die Enklave und die meisten terranischen Einrichtungen auf dem Planeten, was Farber genug Sorge bereitete.
    Im Endeffekt schnitt es ihn von sämtlichen Leuten seiner Rasse ab.
    »… Verräter an unserer Rasse«, sagte Keane frömmlerisch und bigott, als ihm Farber schließlich sagte, er solle sich verpissen.
    Ohne Zeremonie verließ er die Enklave.
     
    Am Nachmittag zogen sie in die Altstadt.
    Als Mitglied einer der Tausend Familien besaß Liraun das Privileg, in der Altstadt zu wohnen, und durch die Heirat ging es auch auf Farber über. Er hätte es vorgezogen, auf das Privileg zu verzichten und in der Neustadt zu leben, die er viel angenehmer fand, aber Liraun beharrte mit ungewöhnlicher Hartnäckigkeit auf dieser Entscheidung. Farber war emotional zu ausgepumpt und gab nach.
    Sie bezogen das gleiche Haus, das Liraun verlassen hatte, als sie zu Farber gezogen war – unbewohnt und unbeansprucht hatte es all die Wochen leer gestanden, die sie in der Enklave verbracht hatte, da in Aei generell keine Überbevölkerung bestand, und in der Altstadt erst recht nicht. Das Haus lag kurz hinter und über dem Kite-Hügel und ging auf eine breite Kopfsteinpflasterstraße hinaus, welche als die Row bekannt war. Es war in einem der vorherrschenden Baustile der Altstadt errichtet, hatte ein Schieferdach, war rechteckig aus schwarzen Felsen gebaut, unten schmal, und bestand aus drei großen Räumen, die übereinander lagen und durch Treppen und Leitern miteinander verbunden waren. Den obersten Raum nutzte man überwiegend als Lagerraum. Es war bereits möbliert, von daher bedeutete der Umzug nur das Herübertragen der persönlichen Gegenstände und ihrer Kleidung und das Einräumen, worauf sie noch Farbers Apartment säuberten. Innerhalb von zwei Stunden war alles erledigt.
    Am Morgen kehrte Liraun zu ihrer alten Arbeitsstelle zurück: an der Drehbank einer Präzisionsmaschinenfabrik in der Werkzeugmachergasse in der Nähe des Hügels vom Kalten Turm in der Neustadt. Sie nahm die Arbeit wieder auf, als sei sie nie fort gewesen. Natürlich nahm keiner ihre Abwesenheit zur Kenntnis, und abgesehen von ein paar höflichen Begrüßungsworten, kommentierte niemand ihre Rückkehr.
    Farber blieb allein im Haus zurück.
    Er hatte das unangenehme Gefühl, alles passiere zu schnell.
     
    Am Nachmittag wanderte er ziellos durch die Altstadt, erforschte die Nachbarschaft in immer weiter werdenden Kreisen. Auf dem Drachenhügel sah er passenderweise eine Gruppe cianischer Kinder, die riesige, formlose, schwarze und orangene Drachen steigen ließen, die seinem auf der Erde geschulten Auge wirklich wie Drachen erschienen, oder wie ein Tintenfisch, eine Schlange, eine Qualle oder ein Dutzend anderer Tiere. Abgesehen von den schrillen Kinderstimmen, einem gelegentlichen Klatschen von Planen bei den Drachen, wenn sich unverhoffte Luftströme in ihnen fingen, und dem fernen – fast unterschwelligen – beständigen Summen des Windes, das in der Altstadt nahezu unvermeidlich war, hörte er keinen Laut. Keinen Laut, und als er die Kinder hinter sich gelassen hatte, hörte und sah er keinen Menschen, niemanden. Keine Bewegung, kein Leben: nur schwarzen Felsen, die steilen, gewundenen Straßen, die verschlossenen Häuser, das Heulen des Windes – wie ein leeres Bühnenbild, eine Geisterstadt, verlassen und schrecklich.
    Unten auf

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