03 - Auf Ehre und Gewissen
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Der Garten hinter dem kleinen Haus in der Lower Mall von Hammersmith war ein Ort künstlerischen Bemühens. Drei Bretter astiges Fichtenholz, über sechs verwitterte Sägeböcke gelegt, dienten als Arbeitsplatz, auf der mindestens ein Dutzend Skulpturen in unterschiedlichen Stadien der Bearbeitung standen. Ein verbeulter Metallschrank an der Gartenmauer enthielt das Werkzeug des Künstlers: Bohrer, Meißel, Zahneisen, Hohlbeitel, Schmirgel und ein Sortiment Sandpapiere. Ein farbverschmierter Malerlappen, der durchdringend nach Terpentin roch, lag als armseliges Häufchen unter einem zerbrochenen Gartenstuhl.
Es war ein schmuckloser Garten. Die Mauern, die ihn vor der Neugier der Nachbarn schützten, schirmten ihn auch gegen die immerwährenden, großenteils von Maschinen verursachten Geräusche des Bootsverkehrs auf dem Fluß, der Great West Road und der Hammersmith Bridge ab. So fachmännisch waren die hohen Mauern rund um den Garten gebaut, so glücklich der Standort des Häuschens an der Lower Mall gewählt, daß höchstens gelegentlich ein über das Anwesen hinwegfliegender Wasservogel die kostbare Stille störte.
Diese Abschirmung hatte allerdings auch einen Nachteil. Reinigende Flußwinde fanden keinen Zugang. Die Folge war, daß der ganze Garten mit einer feinen Schicht weißen Steinstaubs überzogen war: das kleine Oval welkenden Rasens, die Rabatten rostfarbenen Goldlacks, die es umgrenzten, die quadratisch angelegte Terrasse. Selbst auf den Fenstersimsen des Häuschens und auf seinem Giebeldach hatte der Staub sich festgesetzt. Und der Künstler trug ihn wie eine zweite Haut. Aber Kevin Whateley machte das nichts aus. Er hatte sich im Laufe der Jahre daran gewöhnt, und selbst wenn er es nicht gewöhnt gewesen wäre, in einer Staubwolke zu arbeiten, hätte er sich nicht davon stören lassen. Der kleine Garten war seine Zuflucht, ein Ort kreativer Versunkenheit, wo Annehmlichkeit und Sauberkeit nicht erforderlich waren. Bloße Unbequemlichkeit war ohne Bedeutung für Kevin, wenn er sich seiner Kunst widmete.
Zu seinem jüngsten Werk, einem weiblichen Marmorakt, hatte er eine ganz besondere Liebe entwickelt. Er strich mit der Hand über den Arm, über die Wölbung des Gesäßes und die Schenkel hinunter, um nach rauhen Stellen zu suchen und ihnen den letzten Schliff zu geben. Er nickte befriedigt; der Stein fühlte sich unter seinen Fingern wie kühle Seide an.
»Bißchen albern siehst du schon aus, Kev. Mich hast du noch nie so angelächelt.«
Kevin richtete sich mit einem leisen Lachen auf und sah zu seiner Frau hinüber, die an der offenen Haustür stand. Sie trocknete sich die Hände an einem verwaschenen Geschirrtuch und lachte dabei, so daß um ihre Augen tiefe Fältchen entstanden.
»Dann komm doch her und stell mich auf die Probe, Schatz. Du hast nur das letzte Mal nicht richtig aufgepaßt.«
Patsy Whateley wehrte mit einer Handbewegung ab.
»Ach, du bist doch ein verrückter Kerl, Kev!«
Aber er sah ihr freudiges Erröten.
»So, so, verrückt bin ich?« fragte er. »Heute morgen hast du aber was anderes gesagt. Oder warst das vielleicht nicht du, die sich da morgens um sechs an mich rangemacht hat?«
»Kev!« Sie lachte laut heraus.
Kevin betrachtete sie liebevoll. Er wußte, daß sie sich seit einiger Zeit heimlich die Haare färbte, um den Anschein der Jugend zu bewahren, und er sah, daß sie deutlich gealtert war, das Gesicht von feinen Linien durchzogen, um Kinn und Wangen nicht länger glatt und straff, der Körper aufgegangen, wo früher die lockendsten Rundungen gewesen waren. Aber diese Veränderungen konnten an seiner Liebe nichts ändern.
»Jetzt denkst du nach, Kev. Ich seh's dir am Gesicht an. Sag schon, was denkst du?«
»Schmutzige Gedanken, Schatz. Bei denen du rot werden würdest.«
»Das kommt nur von deinen Kunstwerken, stimmt's? Am heiligen Sonntagmorgen nackte Frauen streicheln! Das ist einfach unanständig.«
»Das, was ich jetzt am liebsten mit dir tun würde, ist unanständig, mein Schatz. Komm her! Spiel mir kein Theater vor, ich weiß doch, wie du wirklich bist.«
»Also, jetzt ist er wirklich verrückt geworden«, verkündete Patsy dem Himmel über ihr.
»Ja, aber so wie du's magst.« Er lief durch den Garten zur Tür, nahm seine Frau in die Arme und küßte sie herzhaft.
»Puh! Kevin, du schmeckst ja nur nach Sand!« protestierte Patsy, als er sie losließ. Ein Streifen grauen Puders zog sich seitlich über ihr Haar und Gesicht, ein zweiter lag auf
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