Freunde müssen töten - Thriller (German Edition)
einen Sturz zu riskieren. Nachdem er einige Zeit nach unten gehastet war, wurde der Schacht ein wenig breiter, ein Gang zweigte davon ab. Unschlüssig blieb er kurz stehen, überlegte, ob er den Gang durchsuchen sollte, aber ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er sich beeilen musste. Er hatte nur mehr zehn Minuten und ein Ende der Wendeltreppe war noch immer nicht in Sicht.
Je weiter Braun die Wendeltreppe nach unten hastete, desto kälter wurde es. Der Schacht wurde wieder enger und die gusseisernen Stufen immer schmäler. Mehrmals schrammte Braun schmerzhaft an den betonierten Wänden entlang, doch jetzt war unten ein schmaler Lichtstreifen zu erkennen, der rasch größer wurde. Durch einen Rundbogen gelangte er in einen großen Raum, der zur Donau hin offen war. Von dort kam eiskalte Luft herein und durch den starken Wind wurde Schnee hereingetrieben. Der Boden war mit bläulich schimmerndem Eis bedeckt, in dem sich undeutlich Fackeln spiegelten, die zu beiden Seiten eines Gewölbegangs hingen und unruhig flackerten. Vor dem Gewölbe lagen auf einem verrotteten Tresen, der zur Hälfte im Eis versunken war, ein rotes Tuch, das neu aussah und wohl erst kürzlich hierher gelegt worden war.
Mit entsicherter Glock ging Braun vorsichtig und ganz langsam zum Tresen, um auf dem spiegelblanken Eis nicht auszurutschen. Es herrschte eine angespannte Ruhe, nur das Klatschen der Wellen an den betonierten Anleger und das vereinzelte Gurren von aufgeschreckten Tauben war zu hören. Endlich stand er vor dem Tresen und das Eis unter seinen Füßen knackte. Acht Minuten blieben ihm noch, um Marushas Tod hoffentlich noch zu verhindern. Denn Braun machte sich keine Illusionen. Klein würde das Mädchen töten, wenn ihn Braun nicht daran hinderte. Doch im Augenblick hielt er sich noch an Kleins Spielregeln und später würde ihm schon noch ein Ausweg einfallen, das hoffte er wenigstens. So einfach wollte er es diesem Verrückten nicht machen.
Auf dem Tuch waren Fetische ausgebreitet: ein goldener Lippenstift, den er sofort erkannte, denn „For Lola“ war auf die Spiegelfläche geschrieben. Ein rotes Band, das um eine weiße Haarsträhne gebunden war. Fast identisch mit dem Band und der Haarsträhne, die er in seiner Wohnung gefunden hatte. Als sein Blick auf den letzten Fetisch fiel, musste er schlucken und der letzte Rest Hoffnung, dass Klein nur geblufft haben könnte, verpuffte in der kalten Luft. Es war Marushas zerknülltes Heiligenbild der Schwarzen Madonna von Kiew. Wütend strich er mit der Hand über das Bild und schwor sich, dass er Marusha dieses Bild zurückgeben würde. Und zwar der lebenden Marusha. Er legte die Glock auf die geborstene Platte des Tresens, nahm das Heiligenbild und steckte es ganz vorsichtig in seine Manteltasche, sah das zerschlagene Gesicht von Marusha vor sich, hörte hinter sich das Eis knacken, riss die Glock vom Tresen und wirbelte herum. Es war nichts zu sehen und doch hatte sich die Atmosphäre verändert, Braun spürte, dass er nicht alleine war.
„Mein Freund, du lässt die Minuten ungenützt verstreichen!“, rief eine Stimme aus dem mit Fackeln erleuchteten Gewölbe. „Minuten ungenützt verstreichen!“, hallte es von den Wänden zurück. Selbst das Echo schien Braun zu verhöhnen.
„Was soll dieses ganze Theater, Klein?“, schrie Braun und rutschte mit angelegter Pistole vorsichtig über den spiegelglatten Boden auf das Gewölbe zu. „Glaubst du wirklich, du kannst auf diese Art mein Freund werden, indem du Menschen tötest?“
Er bekam keine Antwort, nur seine eigenen Worte wurden als leises Echo zurückgeworfen.
„Was ist mit dir? Freundschaft muss man sich verdienen!“ Brauns wütende Stimme kreiste die Wände entlang und wurde vom Sturm nach draußen gefegt. Langsam bewegte er sich weiter, doch plötzlich begann das Eis unter seinen Füßen zu knacken.
„Scheiße!“ Jetzt hatte Braun bemerkt, dass der Gewölbegang nicht vereist war, sondern unter Wasser stand.
Er blieb stehen und starrte in das dunkle, fast schwarze Wasser. Noch drei Minuten zeigte ihm seine Uhr und er wusste, dass er eine Entscheidung treffen musste. Langsam zog er das Heiligenbild aus seiner Manteltasche und schob es in die Brusttasche seiner Jacke. Dann zog er seinen Mantel aus, legte ihn auf das Eis und stieg in das schwarze Wasser, das so kalt war, dass sich seine Beine sofort wie taub anfühlten. Zum Glück reichte ihm das Wasser nur bis zu den Knien. Das Gewölbe erinnerte ihn an den
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