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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Für Roman
      
     
    Die Zeit verwandelt uns nicht,
    sie entfaltet uns nur.
     
    MAX FRISCH
      
      
    INHALT
     
     
    1. Der Sohn des Uhrmachers Nettuno, 1932 9
    2. Der Fremde Nettuno, 1938 26
    3. Der Flüchtling Außerhalb von Nettuno, 1932 37
    4. Der Walzenbändiger Nettuno, 1938 65
    5. Der Leblosen Liebling Wien, 1932 98
    6. Der Hüter der Lebensuhr Nettuno, 1938 114
    7. Der Lehrling Wien, 1934 158
    8. Der Beobachter Anzio, 1939 168
    9. Der Ahasverische Wien, 1934-1935 180
    10. Der Gespaltene Nettuno, 1939 195
    11. Der Standhafte Wien, 1938 247
    12. Der Zeuge Rom, 1943 261
    13. Der Goldsucher Pontinische Sümpfe und Rom, 1941 306
    14. Der Zerstreute Wien, 1932 326
    15. Der Wiederauferstandene Nettunia, 1943 330
    16. Der Todgeweihte Rom, 1943 358
    17. Der Thora-Schüler Wien, 1938 374
    18. Der Störenfried Rom, 1943-1944 379
    19. Der Delinquent Nettunia, 1944 424
    20. Der Herr der Unruhe Nettunia, 1944 455
    21. Der Späher vom Forte Sangallo Nettunia und Genzano di Roma, 1944 484
    Epilog 500
    Anmerkungen des Autors 505

       
    1. Kapitel
Der Sohn des Uhrmachers
     
    Nettuno, 1932
     
    Der tägliche Umgang mit Unruh, Anker, Spirale und all den anderen Teilen filigraner Uhrwerke formt gemeinhin eher feinsinnige Menschen von stiller, zurückhaltender Wesen s art. Ein polterndes, aufbrausendes Gehabe ist ihnen fremd. Darauf baute Nico, als er sich auf dem Heimweg wappnete, seinem Vater gegenüberzutreten. Ein flaues G e fühl in der Magengrube spürte er trotzdem.
    »Hast wohl die Hosen gestrichen voll«, sagte neben ihm Bruno, ein kräftig gebauter, beinahe schon dicker Junge mit glattem schwarzem Haar und weithin hörbarer Stimme. Während man Bruno durchaus zutraute, ein Scheunentor im Sturm einzurennen, ohne ernstere Blessuren davonzutragen, hätte dem schmächtigen Nico von derartigen Unterne h mungen jeder sofort abgeraten. Zu seinem Leidwesen wu r de der Sohn des Uhrmachermeisters, obwohl er den Kinde r schuhen allmählich entwuchs, bisweilen immer noch für ein Mädchen gehalten. Nicht unerheblich trugen dazu seine großen braunen Augen bei, deren auffallend lange Wi m pern das weibliche Geschlecht gemeinhin vor Neid erbla s sen ließen. Zum Steinerweichen konnte er daraus blicken, eine Wirkung, die er an Abenden wie diesem besonders zu schätzen wusste.
    Die beiden Dreizehnjährigen polterten durch die enge Via Sacchi. Ihre Schatten wurden von einer schmutzigen Late r ne, die hinter ihnen an einer Hauswand hing, gespenstisch in die Länge gezogen.
    »Keine Ahnung, wovon du sprichst«, brummte Nico. Er hatte seinem besten Freund noch nie etwas vormachen kö n nen. Die Hände in den Hosentaschen vergraben, blickte er finster auf das vom letzten Regenschauer noch feuchte Kopfsteinpflaster.
    »Ich sage nur ein Wort: Sabbat. Du hast ihn gebrochen.«
    »Und du hast mich dazu angestiftet.«
    Bruno drückte die Brust heraus und hob abwehrend die Hände. »Ich bin Katholik und hab nicht den geringsten Schimmer, wie viele Schritte ihr am Ruhetag laufen dürft, bevor aus einem Spaziergang eine Reise wird.« Er kicherte. »Eure komplizierten Bräuche werd ich nie begreifen. Also gib bitte nicht mir die Schuld.«
    »Ja, ja, ich weiß. Und du bist ein Heiliger. Ein Scheinhe i liger.«
    »Es war deine Entscheidung, aus dem Fenster zu klettern und mit mir zur Festung zu gehen.«
    »Ach! Dann hast du das Steinchen wohl nur zufällig an meine Scheibe geworfen.«
    »Ich wollte dir wenigstens gesagt haben, dass Don Albe r to uns in sein Gemäuer einlädt.«
    Die Rede war von Baron Alberto Fassini Camossi, der im Forte Sangallo, gleich neben der befestigten Altstadt von Nettuno, residierte. Durch großzügige Aufträge förderte er das örtliche Kunsthandwerk. Auch den Vätern der beiden Jungen, dem begnadeten Uhrmachermeister Emanuele dei Rossi sowie dem Maler und Restaurator Evaristo Sacchi, hatte der Mäzen schon mehrmals aus finanziellen Notlagen geholfen. Des Barons Gunst für die zwei Meister strahlte sogar auf deren Söhne aus. Hin und wieder lud er die Ju n gen in seine spätmittelalterliche Festung ein, ließ durch den etwas steifen Leibdiener Donatello Limonade und süßes Gebäck auftragen, und wenn sie sich die Mägen voll g e schlagen hatten, durften sie einen der vier Türme erkli m men, um von dort oben nach Neptunia Ausschau zu halten – der Legende nach stieg die mythische, dem Meeresgott Neptun geweihte Stadt bei Ebbe zuweilen an dieser Stelle aus dem Wasser auf. An diesem Abend hatte sie sich jedoch nicht

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