Frevel im Beinhaus
Verunglückten.»
Adelina gab einen ungehaltenen Laut von sich. «Ich weiß, dass das ihre Aufgabe ist. Wie sonst soll Jupp wohl an seine Patienten kommen? Aber es war ein glücklicher Zufall, dass Cristof gerade auf dem Heumarkt war. Die arme Frau – sie ist hochschwanger wie ich. Nein, ich denke, sie ist sogar noch ein wenig weiter. Das Kind kann bestimmt jeden Tag kommen. Stell dir vor, durch den Sturz wäre es bereits auf der Straße geschehen!»
«Ist es aber nicht.»
«Nein, aber es ging ihr nicht gut. Der Sturz, die Hitze … Sie fühlte sich sehr elend und war auch ganz blass. Ich habe ihr einen Kräutersud mitgegeben, der ihr hoffentlich hilft. Als Bezahlung wird ihr Mann zwei von Vitus’ Schuhen flicken. Sie werden morgen abgeholt.»
«Na, dann hat die Geschichte wenigstens ein gutes Ende genommen», befand Neklas und gab ihr einen Kuss auf die Schulter. «Nun leg dich hin und versuch etwas zu schlafen. Du weißt, wenn das Kind erst mal da ist, wird es mit der Nachtruhe für eine Weile vorbei sein.»
Adelina nickte stumm, schälte sich aus ihrem Kleid, legte es ordentlich über ihre Kleidertruhe und schlüpfte dann unter ihre Decke. Neklas löschte das Licht der Öllampe, zog Adelina an sich und bettete ihren Kopf auf seine Schulter.
«Ich kann einfach nicht begreifen, wer so etwas Schlimmes tut!», begann sie aufs Neue. «Etwas Gottloseres als den Diebstahl von menschlichen Gebeinen kann ich mir kaum vorstellen.»
«Denk nicht mehr darüber nach», murmelte Neklas. «Die Sache wird sich schon aufklären. Außerdem betrifft sie uns doch gar nicht.»
«Wer so etwas tut, muss ein Scheusal sein.» Sie gähnte und zog die Decke ein Stückchen höher. «Aber vermutlich hast du recht. Es betrifft uns nicht.» Damit schloss sie die Augen, kurz darauf war sie eingeschlafen.
***
«Mutter?» Griet streckte den Kopf zur Küchentür herein. «Frau Katharina ist da und fragt nach den Schuhen, die sie abholen soll.»
«Ich komme.» Adelina hatte Magda gerade aufgezählt, was heute alles auf dem Markt gekauft werden musste. Rasch nahm sie den Korb mit Vitus’ Schuhen und eilte in die Apotheke. Als sie die Frau des Flickschusters sah, lächelte sie. «Guten Morgen, Frau Katharina. Wie ich sehe, habt Ihr wieder Farbe im Gesicht. Also geht es Euch besser?»
«Die Kräuter haben wunderbar geholfen, vielen Dank. Auch mein Mann lässt Euch seinen Dank ausrichten, dass Ihr so freundlich seid, unsere Schulden auf diese Weise zu begleichen.» Sie nahm Adelina den Korb ab und musterte die Schuhe. «Die sind aber schon arg ramponiert, Frau Meisterin. Das wird ein bisschen dauern, vor allem, weil mein Friedel gerade eine neue Ladung Schuhe von den Domarbeitern bekommen hat.»
«Keine Sorge, das eilt nicht», beruhigte Adelina sie. «Es sind ja beides Winterschuhe. Wenn Ihr sie mir im Laufe der nächsten Woche zurückbringt, reicht das völlig.»
Frau Katharina bedankte sich erneut und wandte sich zum Gehen, als ihr noch etwas einzufallen schien. «Ich hab Euch doch von diesem frevlerischen Raub im Beinhaus erzählt.» Sie senkte die Stimme. «Stellt Euch vor, es heißt, es seien nicht einfach irgendwelche Knochen gestohlen worden, sondern nur die von Kindern.» Sie bekreuzigte sich,und Adelina tat es ihr nach. «Was für ein gottloser Mensch tut nur so etwas?»
***
Die gleiche Frage stellten ihr an diesem Morgen etliche ihrer Kunden. Jeder, der die Apotheke betrat, begann das Gespräch mit den neuesten Spekulationen zu dem Knochendiebstahl. Die Angelegenheit war über Nacht zum Stadtgespräch geworden, und je weiter der Tag voranschritt, desto abstruser und abenteuerlicher wurden die Geschichten.
Adelina schwirrte am Mittag der Kopf davon, und sie erwog bereits, die Apotheke für eine oder zwei Stunden zu schließen, da ihr auch zunehmend der Rücken schmerzte.
Doch sie kam nicht dazu, denn just nachdem Magda den Kopf zur Hintertür hereingestreckt und verkündet hatte, dass das Mittagessen fertig sei, hielt ein Reisewagen vor dem Haus, auf dessen Türen das Wappen der Grafen von Raderberg zu sehen war. Der Fuhrknecht sprang behände vom Bock und öffnete den Verschlag, um es Mira zu ermöglichen, herauszuklettern.
Das Mädchen blieb einen Moment lang ruhig vor der Apotheke stehen und blickte an der Fassade empor. Adelina beobachtete durch das geöffnete Fenster, wie Mira zwei-, dreimal tief durchzuatmen schien, dann wandte sich das Mädchen an den Knecht und gab ihm Anweisung, ihr Gepäck abzuladen.
Lächelnd
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