Frevel: Roman (German Edition)
außerordentliche Gabe, was ich mit Vorbehalt betrachte, denn mir wurde eine solche Gabe niemals zuteil. In anderen Ländern habe ich von Männern gehört, die mittels Kristallkugeln oder eigens zu diesem Zweck angefertigten Spiegeln – wie dem aus Obsidian, den Dee über seinem Kamin aufbewahrt – mit Wesen sprechen, die sie als Engel oder Dämonen bezeichnen. Aber während meiner Wanderjahre durch Europa habe ich ebenso viele dieser umherziehenden Wahrsager und Medien gesehen, bis auf die Knochen durchtriebene Kreaturen, die sich für Geld anheuern lassen. Sie haben sich oberflächlich ein paar Bruchstücke esoterischer Bildung angeeignet und erzählen den Gutgläubigen für den Preis eines Bettes und eines Humpens Bier alles, von dem sie meinen, dass diese es hören wollen. Vielleicht bin ich ein Snob, aber ich kann mir nicht helfen, ich denke, wenn die ägyptischen Götter der Zeit beschließen würden, zu den Menschen zu sprechen, würden sie sich an gelehrte Männer wenden, an Philosophen wie meine Wenigkeit oder John Dee, den wahren Erben des Hermes Trismegistos, keineswegs an einen Mann wie Ned Kelley, der seine alte Filzkappe sogar im Haus tief in die Stirn gezogen trägt, um zu verbergen, dass man ihm wegen Falschmünzerei ein Ohr abgeschnitten hat.
Aber ich muss mit dem, was ich zu Dee über Ned Kelley sage, vorsichtig sein; der Wahrsager hatte schon lange vor meiner Ankunft in England seine Füße fest unter Dees Tisch, und dies ist das erste Mal, dass Dee mir erlaubt hat, an einer dieser Séancen teilzunehmen. Kelley verübelt mir meine kürzlich entstandene Freundschaft mit seinem Herrn; mir ist nicht entgangen, wie er mich unterhalb seines Mützenschirms feindselig anschielt. John Dee ist der größte Gelehrte Englands, aber in Bezug auf Kelley erscheint er mir erstaunlich vertrauensselig, obwohl er fast nichts über dieses »Medium« weiß. Dee ist mir ans Herz gewachsen, und ich möchte nicht gern mit ansehen, wie er hinters Licht geführt wird, doch zugleich möchte ich auch nicht seine Gunst verlieren und seine Bibliothek nicht mehr nutzen dürfen – die beste Büchersammlung, die in diesem Königreich zu finden ist. Also halte ich den Mund.
Ein plötzlicher Luftzug verrät, dass die Tür des Studierzimmers aufgeflogen ist, und wir alle zucken schuldbewusst zusammen; Kelley wirft mit überraschender Geistesgegenwart seine Kappe über den Kristall. Keiner von uns gibt sich irgendwelchen Illusionen hin: Was wir hier tun, würde als Hexerei bezeichnet werden, die ein Kapitalverbrechen gegen die Gesetze von Kirche und Staat darstellt. Es muss nur ein tratschsüchtiger Dienstbote Wind von Dees Aktivitäten bekommen und uns allen könnte der Scheiterhaufen drohen. Die protestantische Regierung dieser Insel ist zwar in einigen Dingen toleranter als die Kirche meiner Heimat Italien, geht aber dennoch rücksichtslos gegen alles vor, was nach Magie riecht.
Staubiges Abendsonnenlicht fällt in den Raum. In der Türöffnung steht ein kleiner Junge von vielleicht drei Jahren, der uns nacheinander neugierig anstarrt.
Dees Gesicht verzieht sich zärtlich, aber auch erleichtert. »Arthur! Was gibt es denn? Du weißt doch, dass du mich nicht stören sollst, wenn ich arbeite. Wo ist deine Mutter?«
Arthur Dee tritt über die Schwelle und wird mit einem Mal von einem heftigen Frösteln durchgebeutelt.
»Warum ist es hier so kalt, Papa?«
Dee wirft mir einen fast triumphierenden Blick zu, so als wollte er sagen: Siehst du? Wir werden nicht getäuscht. Er stößt die Läden des westlichen Fensters auf. Draußen geht die Sonne unter und färbt den Himmel zinnoberrot – in der Farbe des Blutes.
1
Barn Elms, Haus von Sir Francis Walsingham
21. September im Jahr des Herrn 1583
Die Hochzeitsfeier von Sir Philip Sidney und Frances Walsingham droht in den nächsten Tag überzugehen. Die Dämmerung ist hereingebrochen, Lampen sind entzündet worden, und über den Lärm der Musikanten auf der Galerie und das Gelächter der Gäste hinweg erzählt mir aufgeregt die junge Frau, mit der ich getanzt habe, sie habe einmal ein Hochzeitsfest besucht, das vier Tage gedauert habe. Dabei beugt sie sich dicht zu mir und presst ihre Hand gegen meine Schulter. Ihr Atem riecht nach süßem Wein. Die Musikanten stimmen eine weitere Weise an, meine Tanzpartnerin stößt einen Freudenschrei aus und umklammert eifrig meine Hand. Ich will gerade protestieren, dass es warm in der Halle ist und ich gern einen Becher Wein trinken und
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