Frevelopfer
geronnen. Das hieß, dass er womöglich noch eine Weile gelebt hatte und dass das Herz weiter geschlagen hatte.
Nach diesem Anblick hatte sich Elínborg kein blutiges Fleisch zum Abendessen vorstellen können, obwohl sie wusste, dass ihr älterer Sohn maulen würde.
Drei
Der Tote aus dem Þingholt-Viertel hieß Runólfur und war Anfang dreißig gewesen. Er war nie mit der Polizei in Berührung gekommen und nicht im Strafregister zu finden. Er arbeitete bei einem Telefonanbieter, war vor mehr als zehn Jahren nach Reykjavík gezogen und lebte allein. Seine Mutter war noch am Leben, hatte aber erklärt, dass sie kaum noch Kontakt zu ihm gehabt hatte. Sie lebte auf dem Land. Der Pfarrer und ein Polizist überbrachten ihr die Nachricht vom Tod ihres Sohns. Runólfurs Vater war vor einigen Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als er auf dem Holtavörðuheiði-Pass mit einem Lastwagen zusammengeprallt war. Runólfur war ein Einzelkind gewesen.
Der Vermieter hatte nur Gutes über ihn zu berichten. Er hatte die Miete immer pünktlich gezahlt, war ein ordnungsliebender Mensch, niemals hörte man Lärm aus seiner Wohnung, und er ging jeden Morgen zur Arbeit. Der Vermieter konnte gar nicht genug lobende Worte für seinen Mieter finden.
»All dieses Blut«, sagte er und sah Elínborg schockiert an. »Ich muss wohl eine Reinigungsfirma bestellen. Das Parkett ist wahrscheinlich hin. Wer macht so etwas? Es wird nicht einfach sein, die Wohnung wieder zu vermieten.«
»Du hast keine Geräusche in der Wohnung gehört?«, fragte Elínborg.
»Ich hab nie etwas gehört«, antwortete der Vermieter, ein dickbäuchiger Glatzkopf mit einwöchigen weißen Bartstoppeln, hängenden Schultern und kurzen Armen. Er lebte allein in der Wohnung über Runólfur und erklärte, dass er die Wohnung unter ihm schon seit Jahren vermietete. Runólfur war vor etwa zwei Jahren eingezogen.
Der Vermieter hatte die Leiche gefunden und die Polizei benachrichtigt. Er hatte ihm Briefe vorbeibringen wollen, die versehentlich in seinem Briefkasten gelandet waren, und hatte die Umschläge in den Briefschlitz an der Tür gesteckt. Als er am Wohnzimmerfenster vorbeigegangen war, hatte er die nackten Beine eines Mannes gesehen, der in einer Blutlache auf dem Fußboden lag. Er hatte es für ratsam gehalten, sofort die Polizei zu rufen.
»Warst du am Samstagabend zu Hause?«, fragte Elínborg und sah den neugierigen Vermieter vor sich, wie er durch das Wohnzimmerfenster in die Wohnung spähte. Das musste ziemlich schwierig gewesen sein. Die Vorhänge waren nämlich zugezogen gewesen, und man hatte nur durch einen kleinen Spalt hineinsehen können.
Laut den vorläufigen Untersuchungsergebnissen war der Mord in der Nacht zum Sonntag begangen worden. Sie ließen außerdem eher den Schluss zu, dass sich vor dem Überfall noch eine andere Person in Runólfurs Wohnung befunden hatte, als dass jemand dort eingedrungen war. Vieles sprach dafür, dass es eine Frau gewesen war, denn Runólfur hatte kurz vor seinem Tod Geschlechtsverkehr gehabt. In seinem Schlafzimmer hatte man ein Kondom auf dem Boden gefunden. Man ging außerdem davon aus, dass das T-Shirt, in dem man ihn gefunden hatte, nicht ihm, sondern einer Frau gehört hatte. Darauf deutete die Größe hin, es war viel zu klein für ihn, und außerdem hatten sie einige dunkle Frauenhaare daran gefunden, die mit denen auf dem Sofa übereinstimmten. An seiner Jacke waren ebenfalls Haare gewesen, vermutlich von derselben Frau. Offensichtlich hatte Runólfur einen nächtlichen Gast gehabt. In seinem Bett hatte man Schamhaare gefunden.
Es war ohne Probleme möglich, durch den Garten des Hauses in den Nachbargarten zu gelangen, der zu einem dreistöckigen Haus in der nächsten Straße gehörte. Aber niemand hatte bemerkt, dass dort in der Mordnacht Menschen unterwegs gewesen waren.
»Ich bin fast immer zu Hause«, erklärte der Vermieter.
»Du hast ausgesagt, dass Runólfur am Samstagabend ausgegangen ist?«
»Ja, ich habe beobachtet, wie er die Straße entlangging. Das war so gegen elf. Danach habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
»Du weißt nicht, wann er zurückgekommen ist?«
»Nein. Da war ich wahrscheinlich schon eingeschlafen.«
»Du weißt also nicht, ob jemand bei ihm war?«
»Nein.«
»Runólfur hat nicht mit einer Frau zusammengelebt?«
»Nein, und auch nicht mit einem Mann«, erklärte der Vermieter und lächelte seltsam.
»In der ganzen Zeit nicht, seit er hier zur Miete
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