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Frevelopfer

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Titel: Frevelopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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würde er sie anpöbeln. Er ließ der Frau ein wenig Zeit, um sich wieder zu fangen, bevor er zu ihr hinüberging.
    »Bist du schon einmal dort gewesen?«, fragte er.
    Die dunkelhaarige Frau sah hoch, schien ihn aber nicht gleich zu erkennen.
    »In San Francisco«, sagte er und deutete auf das T-Shirt.
    Sie sah auf ihre Brust.
    »Du meinst das hier?«, antwortete sie.
    »Eine zauberhafte Stadt«, sagte er. »Da solltest du unbedingt mal hin.«
    Sie sah ihn an und war sich augenscheinlich nicht sicher, ob sie ihn, genau wie den anderen, abblitzen lassen sollte. Doch auf einmal schien sie sich zu erinnern, dass sie ihn schon einmal getroffen hatte.
    »Da ist unheimlich viel los«, sagte er. »In Frisco. Es gibt so viel zu sehen.«
    Sie lächelte.
    »Du hier?«, sagte sie.
    »Ja. Nett, dich zu treffen. Bist du allein?«
    »Allein? Ja.«
    »Warst du schon mal in Frisco? Da musst du unbedingt hin.«
    »Ich weiß, ich bin …«
    Ihre Worte gingen im Lärm unter. Er befühlte noch einmal seine Jackentasche und beugte sich zu ihr hinunter.
    »Der Flug ist ziemlich teuer«, sagte er. »Aber ich meine … Ich bin einmal dort gewesen, es war fantastisch. Eine zauberhafte Stadt.«
    Er verwendete gewisse Worte ganz bewusst. Sie sah zu ihm hoch, und er stellte sich vor, wie sie an den Fingern einer Hand abzählte, wie viele junge Männer sie in ihrem Leben schon getroffen hatte, die Wörter wie »zauberhaft« in den Mund nahmen.
    »Ich weiß, ich war schon mal dort.«
    »Ach so. Darf ich mich vielleicht zu dir setzen?«
    Sie zögerte einen Augenblick und rückte dann ein Stück zur Seite, um Platz zu machen.
    Niemand in der Kneipe schenkte ihnen besondere Aufmerksamkeit, auch nicht, als sie eine gute Stunde später gemeinsam das Lokal verließen und auf wenig frequentierten Straßen zu ihm nach Hause gingen. Da hatte das Mittel bereits angefangen zu wirken. Er hatte sie zu einer weiteren Margarita eingeladen. Als er mit ihrem dritten Drink von der Bar zurückkam, glitt seine Hand in die Jackentasche, und er gab das Mittel in ihr Getränk. Sie hatten sich gut unterhalten, und er wusste, dass sie keine Schwierigkeiten machen würde.
    Die Meldung erreichte die Kriminalpolizei zwei Tage später. Elínborg nahm sie entgegen und gab den Einsatzbefehl. Angehörige der Verkehrspolizei hatten die Straße im Þingholt-Viertel bereits abgesperrt, als Elínborg und ihre Kollegen von der Spurensicherung eintrafen. Sie sah den Vertreter des Amtsarztes aus seinem Auto steigen. Zunächst durfte nur die Spurensicherung hinein, um ihre Untersuchungen vorzunehmen. Sie legten den Tatort auf Eis, wie sie sich ausdrückten.
    Elínborg leitete unterdessen alles Notwendige in die Wege und wartete geduldig auf das Zeichen, dass sie die Wohnung betreten durfte. Fernseh- und Zeitungsreporter fanden sich ein, und sie beobachtete sie bei der Arbeit. Sie waren lästig, und einige wurden sogar unverschämt den Polizisten gegenüber, die ihnen den Zugang zum Gelände versperrten. Elínborg kannte zwei oder drei aus dem Fernsehen, einen Talkshow-Moderator, der vor kurzem zum Nachrichtenredakteur avanciert war, und einen Mann, der ein politisches Diskussionsforum leitete. Sie hatte keine Ahnung, was der unter den Reportern verloren hatte. Elínborg, die zu den ersten weiblichen Angehörigen der Kriminalpolizei gehörte, erinnerte sich, dass die Reporter früher sowohl höflicher als auch weniger zahlreich gewesen waren. Die Zeitungsreporter waren ihr etwas sympathischer als die Fernsehleute. Die Vertreter des gedruckten Worts nahmen sich mehr Zeit, sie waren gelassener und nicht so aufdringlich und wichtigtuerisch wie diejenigen mit den Fernsehkameras auf den Schultern. Einige von ihnen konnten sogar durchaus gute Texte schreiben.
    Die Leute in den benachbarten Häusern standen an den Fenstern oder waren vor die Tür getreten und standen nun mit vor der Brust verschränkten Armen in der kühlen herbstlichen Luft. Man sah ihnen an, dass sie nicht die geringste Ahnung hatten, was vorgefallen war. Sie wurden bereits von einigen Polizisten befragt, ob sie etwas Ungewöhnliches in der Nähe des Hauses oder in der Straße bemerkt hatten, ob sie Menschen in der Nähe des Hauses gesehen hatten, ob sie sich hier auskannten oder dieses Haus schon einmal betreten hatten.
    Elínborg hatte früher einmal in einer Mietwohnung im Þingholt-Viertel gelebt, noch bevor dieser Stadtteil in Mode gekommen war. Sie hatte sich wohlgefühlt in diesem altehrwürdigen Stadtteil, der sich

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