Frevelopfer
der einen weißen Schutzanzug und Latexhandschuhe trug.
»Du meinst die Vergewaltigungsdroge?«
»Ja«, antwortete der Mann. »Sie haben uns gerade telefonisch die Ergebnisse durchgegeben, wir sollen uns hier bei den Untersuchungen darauf konzentrieren. Er hatte es wie gesagt in der Jackentasche, was bedeuten könnte, dass …«
»… er es am Samstagabend verwendet hat«, ergänzte Elínborg. »Der Vermieter hat gesehen, wie er abends in die Stadt gegangen ist. Er hat es also in der Tasche gehabt, als er ausging?«
»Wenn er dieses Jackett angehabt hat, und danach sieht es aus. Alle anderen Sachen sind an Ort und Stelle im Schrank. Das Jackett und das Hemd liegen hier auf dem Stuhl, Unterhose und Socken im Schlafzimmer. Er lag mit heruntergelassener Hose im Wohnzimmer und hatte keine Unterhose an. Möglich, dass er sich ein Glas Wasser holen wollte. Es steht da am Waschbecken.«
»Hat er sich mit Rohypnol in der Tasche ins Nachtleben gestürzt?«, fragte Elínborg nachdenklich.
»Nach allem, was wir bisher feststellen konnten, hatte er kurz vor seinem Tod Geschlechtsverkehr«, erklärte der Mann von der Spurensicherung. »Das Kondom stammt wahrscheinlich von ihm. Und er sah ja auch ganz danach aus. Das kann man natürlich bei der Autopsie feststellen.«
»Vergewaltigungsdroge«, wiederholte Elínborg, und ihr fiel ein Fall ein, der kürzlich passiert war. Da war ebenfalls Rohypnol im Spiel gewesen.
Ein aufmerksamer Verkehrsteilnehmer hatte bei einer spärlich bekleideten sechsundzwanzigjährigen Frau angehalten, die sich am Straßenrand übergab. Sie konnte nicht sagen, woher sie kam, und erinnerte sich nicht, wo sie die Nacht verbracht hatte. Sie bat den Mann, der sich ihrer angenommen hatte, sie nach Hause zu fahren. Am liebsten hätte er sie in die Ambulanz gebracht, aber sie hatte hartnäckig darauf bestanden, dass das nicht notwendig sei.
Die Frau hatte keine Ahnung, wie sie auf dem Nýbýlavegur in Kópavogur gelandet war. Zu Hause angekommen, legte sie sich sofort ins Bett und schlief zwölf Stunden. Als sie aufwachte, tat ihr alles weh. Ihre Genitalien brannten, die Haut an den Knien war gerötet und empfindlich, und sie erinnerte sich immer noch nicht, was in der Nacht passiert war. Dabei hatte sie noch nie irgendwelche Gedächtnislücken gehabt, nur weil sie zu tief ins Glas geschaut hatte. Sosehr sie es auch versuchte, sie konnte keine Erinnerung daran heraufbeschwören, wo sie gewesen war. Aber eines wusste sie ganz sicher, sie hatte an dem Abend nur wenig Alkohol getrunken. Sie duschte ausgiebig und wusch sich gründlich. Am Abend rief ihre Freundin an und fragte, wo sie am Abend vorher geblieben war. Sie waren zu dritt ausgegangen, und sie hatte die beiden anderen aus den Augen verloren. Die Freundin hatte sie mit einem Mann hinausgehen sehen, den sie nicht kannte.
»Wow«, sagte die Frau, »ich kann mich an nichts erinnern. Ich habe keine Ahnung, was passiert ist.«
»Wer war das denn?«, fragte die Freundin.
»Keine Ahnung.«
Nachdem sie eine Weile miteinander gesprochen hatten, dämmerte es der jungen Frau, dass sie in dem Lokal von einem Mann zu einem Drink eingeladen worden war. Sie kannte ihn nicht und konnte sich nur ganz undeutlich daran erinnern, wie er ausgesehen hatte. Aber er hatte einen netten Eindruck auf sie gemacht. Kaum hatte sie das Glas ausgetrunken, stand schon das nächste auf dem Tisch. Dann war sie zur Toilette gegangen, und als sie zurückkam, hatte der Mann vorgeschlagen, das Lokal zu verlassen. Das war das Letzte, an das sie sich erinnerte.
»Wohin bist du mit ihm gegangen?«, fragte die Freundin am Telefon.
»Ich weiß es nicht, ich bin einfach …«
»Kanntest du ihn nicht?«
»Nein.«
»Kann es sein, dass er dir etwas ins Glas getan hat?«
»Ins Glas?«
»Weil du dich überhaupt nicht erinnern kannst. Es gibt solche …«
Die Freundin zögerte.
»Solche was?«
»Solche Männer, die Frauen vergewaltigen.«
Kurze Zeit später war sie mit ihrer Freundin zur Anlaufstelle für Vergewaltigungsopfer im Fossvogur-Krankenhaus gefahren. Als der Fall auf Elínborgs Schreibtisch landete, war die junge Frau überzeugt, dass sie von dem unbekannten Mann vergewaltigt worden war. Bei der ärztlichen Untersuchung stellte sich zwar heraus, dass sie in der Nacht Geschlechtsverkehr gehabt hatte, aber es fanden sich keine Spuren der Droge in ihrem Blut. Das war durchaus normal, denn die Vergewaltigungsdroge Rohypnol war schon nach wenigen Stunden nicht mehr im
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