Friedhof der Verfluchten
mich ins Bett.
Immer wieder musste ich an meinen Vater denken und vor allen Dingen an den Mordanschlag. Bisher hatte ich es verstanden, meine Eltern so ziemlich aus allen Fällen herauszuhalten, doch es hatte mit der Mörderin Melissa begonnen, dann war die Sache mit dem dämonischen Ahnherrn passiert, und jetzt dieser Mordanschlag.
Stellte sich die große Frage, ob der Anschlag in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Erscheinen von Brigadoon stand, was mein Vater allerdings abstritt. Er hatte mir in kurzen Worten über ein Bauprojekt berichtet, gegen das er sich engagiert hatte. Er machte die Andeutung, dass die Hintermänner des Bauprojekts ihm den Killer auf den Hals gehetzt hatten. Es war nicht bewiesen, aber abstreiten konnte ich es auch nicht. Vielleicht fand ich noch eine Lösung. Der Bentley schnurrte satt. Ich schaffte die Strecke bis zur schottischen Grenze in Rekordzeit und fuhr dann den mir so bekannten Weg nach Lauder.
Schottland im Herbst ist ein Erlebnis. Ich muss einfach über die herrlichen Laubwälder berichten, deren Blätter in zahlreichen Farben schimmerten, vom kräftigen Gelb angefangen bis zu einem fast dunklen Violett. Über allem lag eine blasse Sonne, die allerdings noch so viel Kraft besaß, dass sie den Nebel aus dem Tal wegdampfen konnte. Es entstanden herrliche Bilder. Am liebsten hätte ich angehalten und fotografiert. Da die Zeit mir im Nacken saß, ich zudem noch zügig fuhr, war mir nur ein kleiner Blick gestattet, den ich auch hin und wieder riskierte.
Dann sah ich die wallenden Nebelstreifen auf halber Höhe der Berge. Aus ihnen lugten die Spitzen dunkler Tannen oder die bunten belaubten Mischwaldäste.
Oft genug besaß die Nebeldecke Löcher, so dass ich in die Täler schauen konnte und manchmal kleine Seen sah, deren Oberflächen wie Quecksilber glänzten. Schottland zeigte sich in all seiner Pracht. Ich bekam so etwas wie heimische Gefühle und hätte am liebsten bei meinen Eltern drei Wochen Urlaub gemacht.
Schon bald hatte ich Lauder erreicht. Ein kleines Bergstädtchen, sauber, mit schmucken Häusern, vielen Gärten und eingerahmt von bewaldeten Bergen. Das Haus meiner Eltern lag ein wenig außerhalb des Ortes und stand an einem Hang. Es war ein altes Haus mit dicken Mauern, kein moderner Kasten, sondern ein Gebäude, in dem man sich wohl fühlen konnte.
Über den Bergen stand die Sonne. Ihre Strahlen fielen im schrägen Winkel auf die Erde, legten einen golden flimmernden Schein auf die Bäume und Hausdächer und stießen aus einem blauen Himmel herab. Man kennt den Himmel von Kitschpostkarten. Tatsächlich aber kann man so eine Himmelsfarbe an manchen Herbsttagen in den Bergen beobachten. Nicht nur in Schottland, auch in der Schweiz oder Österreich.
Den Silbergrauen lenkte ich über schmale Wege. Wenn ich anhielt und einige Menschen in meinen Wagen schauten, wurde ich oft begrüßt. Mittlerweile kannte man mich wieder hier in Lauder. Ich lächelte zurück. Eine herrliche, heile Welt, in die jedoch das Böse schon mehr als einmal wie eine Dolchspitze hineingestoßen und blutige Wunden hinterlassen hatte.
Noch zwei Kurven musste ich nehmen, dann hatte ich das Haus meiner Eltern erreicht. Ich sah den großen Platz, dazu die alten Bäume, die auch schon ihr Laub verloren, das malerisch verstreut auf dem mit Kies bestreuten Boden lag.
Im nächsten Augenblick wunderte ich mich. Unter einem Eichenbaum stand ein schwarzer Mercedes 450. Eine deutsche Luxuslimousine. So einen Wagen fuhr mein Vater nicht. Es gab nur eine Erklärung für die Anwesenheit des Fahrzeugs.
Meine Eltern mussten Besuch bekommen haben. Ich stellte den Bentley nicht neben dem Mercedes ab, sondern lenkte ihn vorbei und parkte mit der Schnauze zum Haus.
Als ich ausstieg, öffnete sich auch die Fahrertür des Mercedes. Ein breitschultriger Mann in Uniform stieg aus dem Wagen und schaute unter seinem Mützenschirm mit leicht zusammengezogenen Augenbrauen zu mir hin. Aber noch eine Tür wurde geöffnet. Wie eine Schlange wand sich im nächsten Moment eine junge Frau aus dem Wagen, die eine Kamera umhängen hatte, schicke Robin-Hood-Stiefel trug, dazu eine enge grüne Hose, den großmaschig gestrickten Pullover lässig bis zum Gürtel hängen ließ und mich sofort anvisierte.
»Sind Sie John Sinclair?« fragte sie mich.
»Ja.«
Sofort riss sie die Kamera hoch, ich hob gleichzeitig den Arm und schützte mein Gesicht. »Keine Fotos, bitte.« Das fehlte noch, wenn ich irgendwo in der Zeitung zu
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