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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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manischem Gelächter und purer Verzweiflung zu entscheiden, gelang es mir, auf gepflasterten Wegen zwischen den Gräbern hindurchzuhasten, doch am Ende fand ich nur einen leeren Boulevard. Von Crumley keine Spur.
    Auf der anderen Seite der Straße standen die Türen von St. Sebastian weit offen, alle Lichter brannten.
    J. C, dachte ich, wenn du wenigstens dort wärest!
    Ich sprang los. Mit einem Blutgeschmack auf der Zunge rannte ich hinüber.
    Hinter mir hörte ich das gewaltige, schwerfällige Schlurfen von Schuhen und den keuchenden Atem eines halbblinden, furchtbaren Mannes.
    Ich erreichte die Tür.
    Zuflucht.
    Aber die Kirche war leer.
    Auf dem goldenen Altar brannten Kerzen. Ebenso in den Grotten, in denen sich Jesus verborgen hielt, um Maria ins Rampenlicht zu rücken, umstrahlt von funkelnder Liebe.
    Die Türen zum Beichtstuhl standen weit offen.
    Hinter mir ertönten laut polternde Schritte.
    Mit einem Satz war ich im Beichtstuhl, schlug die Tür zu und kauerte mich, von entsetzlichen Schauern geschüttelt, in die dunkle Zelle.
    Die Schritte donnerten heran …
    Eine Unterbrechung wie bei einer Windstille. Wie ein Sturm legten sich die Geräusche plötzlich, um dann, wie bei einem Wetterwechsel, wieder näherzukommen.
    Ich spürte, wie das Monster an der Tür herumfummelte. Sie war nicht verschlossen.
    Aber ich war der Priester, oder etwa nicht?
    Wer auch immer hier drinnen saß, war gesegnet, mußte respektiert werden, ihm konnte man vertrauen, und er konnte sich … sicher fühlen?
    Von draußen hörte ich dieses gottlose Stöhnen der Erschöpfung und Selbstzerstörung. Mich schauderte. Meine Lippen teilten sich, ich schickte ein Stoßgebet um die einfachsten Kleinigkeiten gen Himmel. Nur noch eine Stunde mit Peg. Ein Kind hinterlassen. Lappalien. Unscheinbare Dinge, großartiger als die Mitternacht, oder doch zumindest so großartig wie manche Morgendämmerungen …
    Der süße Geruch des Lebens mußte meiner Nase entströmt sein, mit meinen Gebeten suchte er sich einen Weg nach draußen.
    Ein letztes, tiefes Stöhnen und …
    O Gott!
    Das Monster stolperte in die andere Hälfte der Kabine.
    Wie es sich voll blinder Wut hineindrückte und quetschte, erschreckte mich mehr als die Vorstellung, sein schrecklicher Atem könnte durch das kleine Gitter fauchen und mich erblinden lassen. Doch seine klobige Masse plumpste stöhnend nieder und kam wie ein Blasebalg in einem Feuerofen mitsamt seinen Lederfalten und Ventilen zur Ruhe.
    Jetzt wußte ich, daß die seltsame Jagd vorüber und die Zeit der letzten Dinge gekommen war. Ich hörte, wie das Monster einmal mehr seinen Atem einsaugte, zweimal, dreimal, als müsse es erst Mut fassen, bevor es zu sprechen anfing, noch immer mordlustig, aber müde jetzt, o Gott, endlich müde.
    Und schließlich flüsterte es mit einem intensiven Flüstern, wie ein durchdringendes Stöhnen, das den Schornstein herunterkommt: »Vater, vergib mir, denn ich habe gesündigt!«
    Herr im Himmel, dachte ich, lieber Gott, was haben die Priester in all den alten Filmen meiner Jugend in diesem Falle immer geantwortet? Ich muß mich doch daran erinnern, was nur?
    In mir keimte das verrückte Verlangen auf, mich hinauszustürzen und irgendwohin zu laufen, auch wenn das Monster dann erneut hinter mir herhetzen würde.
    Doch während ich noch nach Atem rang, war ein furchtbares Flüstern zu vernehmen: »Vater, vergib mir …«
    »Ich bin nicht Ihr Vater«, rief ich.
    »Nein«, flüsterte das Monster.
    Und nach einem langen, endlosen Moment fügte es hinzu: »Du bist mein Sohn.«
    Ich zuckte zusammen und hörte mein Herz einen kalten Tunnel hinunterstürzen, in schwarze Dunkelheit.
    Das Monster rührte sich wieder.
    »Wer …«, Unterbrechung, »… glauben Sie wohl …«, Unterbrechung, »… hat Sie hierhergeholt?«
    Lieber Gott!
    »Ich«, sagte das verlorene Gesicht hinter dem Gitter, »ich habe es getan.«
    Nicht Groc? dachte ich.
    Und das Monster fing an, einen schrecklichen Rosenkranz dunkler Perlen herunterzubeten. Ich konnte nichts anderes tun, als langsam, sehr langsam, nach hinten zu sinken, bis mein Kopf an der Holztäfelung des Beichtstuhls lehnte; dann drehte ich den Kopf und sagte: »Warum haben Sie mich nicht getötet?«
    »Das habe ich nie tun wollen. Dein Freund durchkreuzte meine Pläne. Er fertigte diese Büste an. Wahnsinn. Ich hätte ihn umgebracht, das ist richtig, aber er kam mir zuvor. Jedenfalls sorgte er dafür, daß es so aussah. Er ist am Leben und erwartet Sie

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