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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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…«
    Wo!? wollte ich herausplatzen. Statt dessen sagte ich: »Warum haben Sie mich verschont?«
    »Warum … weil ich möchte, daß meine Geschichte eines Tages erzählt wird. Sie waren der einzige«, er unterbrach sich, »… der sie erzählen kann … richtig … erzählen kann. Es gibt nichts in diesem Studio, das mir nicht bekannt ist, nichts in der Welt draußen ist mir fremd. Ich las nächtelang und schlief nur in kurzen Intervallen, ich las noch mehr von Ihnen und schließlich flüsterte ich, vor einigen Wochen, Ihren Namen durch die Wand. Er wird es schaffen, sagte ich. Holt ihn. Das ist mein Geschichtsschreiber. Und mein Sohn. Und so geschah es.«
    Sein Flüstern hinter dem Spiegel war also für meine Berufung verantwortlich.
    Das Flüstern war jetzt hier, keine zwanzig Zentimeter entfernt, und zwischen uns pulsierte sein Atem in der Luft wie ein Blasebalg.
    »Bei den knochenbleichen Hügel von Jerusalem«, sagte die farblose Stimme. »Ich habe alles und jeden eingestellt und wieder gefeuert, Tausende von Tagen lang. Wer sonst hätte es tun können? Und was sonst hätte ich tun können, außer häßlich sein und sterben wollen? Nur meine Arbeit hielt mich am Leben. Sie einzustellen bedeutete für mich eine Art von Selbsterhaltung.«
    Sollte ich ihm dafür danken? fragte ich mich.
    Er flüsterte beinahe. »Zuerst führte ich das Studio aus zweiter Hand, hinter dem Spiegel. Ich trampelte mit meiner Stimme auf Manny Leibers Trommelfellen herum, mit Marktanalysen und Drehbuchkürzungen, ich las alles in den Gräbern durch und teilte ihm die Ergebnisse mit, wenn er gegen zwei Uhr morgens das Ohr an die Wand legte. Was für großartige Konferenzen! Was für tolle Zwillinge! Ich und Über-Ich. Das Instrument und sein Spieler. Der kleine Tänzer. Und ich war der Choreograph hinter der gläsernen Wand. Mein Gott, wir teilten uns sein Büro. Er schnitt die Grimassen und gab vor, große Entscheidungen zu treffen – ich wartete jede Nacht darauf, endlich aus dem Schatten hervortreten zu dürfen, mich in den Sessel neben dem leergeräumten Schreibtisch mit dem einzelnen Telefon zu setzen und Leiber, meinem Sekretär, zu diktieren.«
    »Ich weiß«, flüsterte ich.
    »Woher denn!?«
    »Ich habe es mir gedacht.«
    »Gedacht!? Was? Die ganze verrückte Geschichte? Halloween? Vor zwanzig, o Gott, vor zwanzig Jahren?!«
    Er atmete schwer, wartete auf meine Antwort.
    »Jawohl«, hauchte ich, kaum hörbar.
    »Ach ja.« Das Monster versank in Erinnerungen. »Die Prohibitionszeit war vorüber, doch wir schafften den Alkohol nach wie vor aus Santa Monica heran, durch die Gruft und den unterirdischen Gang, nur so aus Jux, wir hatten unseren Spaß dabei. Die halbe Party fand auf den Gräbern statt, die andere Hälfte in den Filmkatakomben, großer Gott! Fünf Ateliers voll mit grölenden Männern, Frauen, Stars und Statisten. Ich kann mich nur undeutlich an diese mitternächtliche Stunde erinnern. Schon mal daran gedacht, wie viele Leute, wenn sie erst mal in Stimmung sind, sich auf dem Friedhof lieben? Diese Stille! So denken Sie doch!«
    Ich wartete, bis die Erinnerungen hochkamen. Er sagte: »Man hat uns erwischt. Herrje, direkt dort, zwischen den Grabsteinen. Mit dem Hammer des Friedhofwächters zerschmetterte er mir den Kopf, die Wangenknochen, mein Auge! Hörte nicht auf! Er rannte mit ihr davon. Ich schreiend hinterher. Sie fuhren weg. Ich fuhr, o Gott. Und dann der Unfall, und, und …«
    Er seufzte, wartete, bis sich sein Herz beruhigte.
    »Ich weiß noch, wie Doc mich in die Kirche trug, der Priester schlottert vor Angst, dann geht’s in die Leichenhalle. Erholt euch in den Gräbern! Kommt in der Gruft zur Besinnung! Und drüben in der nächsten Leichenhalle, mausetot: Sloane. Und dann, Groc, der zu flicken versucht, was nicht mehr zu flicken ist. Groc, der arme Tropf. Lenin hatte mehr Glück! Mein Mund bewegt sich, ich sage: alles vertuschen, los, sofort! Spät. Leere Straßen. Lügt! Sagt, ich sei tot! Mein Gott, mein Gesicht! Nichts mehr zu machen! Mein Gesicht! Also sagt, ich sei tot. Emily! Was? Verrückt? Versteckt Emily! Alles vertuschen. Mit Geld, was denn sonst! Viel Geld. Es muß absolut echt aussehen. Wer sollte daran zweifeln? Dann die Beerdigung mit geschlossenem Sarg, ich ganz in der Nähe, so gut wie tot – in der Leichenhalle. Doc kümmerte sich wochenlang um mich! Mein Gott, was für ein Wahnsinn. Ich betastete mein Gesicht, meinen Kopf, es gelingt mir, ›Fritz‹ zu rufen, als ich ihn sehe. ›Du

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