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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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hat das gesagt?«
    »Ich habe das gesagt. Ich sage es. Hören Sie gut zu. Ich bin so gut wie tot.«
    Ein feuchter Wind mit dem Nitratgeruch der alten Filme und dem Geruch nach frischer Erde von den Gräbern her wehte uns aus dem Gewölbe entgegen.
    Der Spiegel glitt wieder zur Seite. Leise entfernten sich Schritte.
    Ich starrte in den Tunnel hinein, dessen Deckenleuchten die Größe von Glühwürmchen hatten.
    Der massige Schatten des Monsters glitt die Schräge hinunter, dann wandte es sich mir zu.
    Es fixierte mich mit seinen unglaublich wilden, unglaublich traurigen Augen.
    Es nickte in Richtung des abfallenden Tunnels in die Dunkelheit. »Na schön, wenn Sie nicht gehen können, dann rennen Sie«, murmelte es.
    »Wieso denn?«
    Der Mund kaute und schmatzte feucht, und schließlich verkündete es: »Laufen Sie vor mir davon! Ich bin mein ganzes Leben lang gelaufen! Denken Sie, ich kann Ihnen nicht folgen? Gott im Himmel! Tun Sie einfach so! Tun Sie einfach so, als ob ich noch die alte Kraft, die alte Macht besäße. Daß ich Sie töten könnte. Tun Sie so , als hätten Sie Angst!«
    »Aber ich habe wirklich Angst!«
    »Dann laufen Sie! Gottverdammtnochmal!«
    Er hob drohend eine seiner Fäuste, um böse Schatten von den Wänden zu verjagen.
    Ich rannte los.
    Er hinterher.
     

71
     
    Es war eine fürchterliche Pseudoverfolgungsjagd durch die unterirdischen Gewölbe, wo die alten Filmrollen lagen, hin zu den steinernen Grüften, wo sich all die Stars aus diesen Filmen versteckten, unter der Mauer hindurch und durch die Wand, und plötzlich war es dicht hinter mir, und ich wurde wie ein Querschläger durch die Katakomben gejagt, immer das Monster auf den Fersen, das mich mit seinem quellenden Fleisch auf das Grab zutrieb, in dem Arbuthnot niemals gelegen hatte.
    Bei dieser Hetzjagd merkte ich, daß es sich bei Gott nicht um eine Rundreise, sondern vielmehr um eine Reise mit einem bestimmten Ziel handelte. Ich wurde nicht verfolgt, sondern in eine Richtung getrieben. Wohin nur?
    Die Grotte unter dem Grab, in dem Crumley und der blinde Henry und ich vor tausend Jahren gestanden hatten. Ich blieb abrupt stehen.
    Die Stufen zum Sarkophag lagen unberührt vor mir.
    Ich spürte, wie der Tunnel hinter mir vom Gepolter der Schritte und dem feurigen Blasebalg der Verfolgung widerhallte.
    Ich sprang auf die Treppe, versuchte mich irgendwie hinaufzuziehen. Rutschend und geschmacklose Gebete ausstoßend ächzte ich voran, stieß einen Schrei der Erleichterung aus und kreischte mich förmlich aus dem Sarkophag hinaus auf den sicheren Erdboden.
    Ich prallte gegen die Tür der Gruft. Sie flog weit auf. Ich stürzte auf den Friedhof hinaus und blickte wirr um mich, die lange Reihe der Grabsteine entlang Richtung Hauptstraße, die menschenleer und Kilometer entfernt sein mußte.
    »Crumley!« gellte ich.
    Es gab weder Verkehr auf der Straße, noch sah ich geparkte Autos.
    »O Gott«, jammerte ich. »Crumley! Wo bist du?«
    Hinter mir ertönte der Lärm polternder Füße auf der Schwelle zur Gruft. Ich wirbelte herum.
    Das Monster stand in der Tür.
    Eingerahmt vom Mondlicht stand es da wie eine Grabskulptur, aufgestellt, um sich selbst zu feiern, unter dem eigenen, in Stein gehauenen Namen. Einen Augenblick sah es aus wie der Geist eines englischen Lords, der auf der Schwelle des Torhäuschens zu seinem alten Landsitz posiert, eigens zu dem Zweck, auf Film gebannt und hinterher in der Dunkelkammer im Säurebad versenkt zu werden, um wie ein Phantom aufzuerstehen, während sich der Film in Nebeln und Schlieren entwickelt, eine Hand auf der Türklinke zu seiner Rechten, die andere hoch erhoben, als wolle es Verderben über das ganze marmorne Spielfeld schleudern. Über dem kalten Marmorportal erblickte ich erneut den Schriftzug: ARBUTHNOT .
    Ich muß den Namen halblaut ausgestoßen haben.
    Das Monster stürzte nach vorne, als hätte jemand einen Startschuß abgefeuert. Sein Schrei warf mich um, ich taumelte auf das Friedhofstor zu, schlingerte zwischen einem Dutzend Grabsteinen hindurch, warf mehrere Blumengebinde um und rannte laut schreiend mit doppelter Geschwindigkeit weiter. Ein Teil von mir betrachtete die ganze Angelegenheit als Menschenjagd, ein anderer Teil als Slapstick, wie eine Verfolgungsjagd bei den Keystone Kops. Das eine Bild ging in Richtung: Wassermassen aus geborstenem Schleusentor verschlingen einsamen Läufer; das andere eher in Richtung: wütende Elefantenbullen hetzen Charlie Chase. Ohne mich recht zwischen

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