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Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Gräber ihres Vaters und ihres Mannes auf den Frühling vorbereitet hätte. Da war nichts zu sehen auf den Gräbern als grüne Spitzen, aber in drei Wochen würden sie ein Meer aus verschiedenen Blautönen sein, aus wippenden Glöckchen und winzigen Kelchen. Die Nächste, die kam, war Frau Hartwig. Sie drückte ihm ein paar Münzen in die Hand und huschte davon wie eine Maus. Später kamen andere.
    Sie waren, dachte Lenz, wie die Kaninchen; alle gleich, alle dumm, Menschenkaninchen mit fernen Augen und Geld in den Händen. Als wäre er weniger eine Person als ein heiliger Gegenstand, vor dem man Münzen hinterlässt, um die Naturgewalten gnädig zu stimmen. Als die Letzten gegangen waren, stand er alleine in einer violetten Frühjahrsdämmerung und spürte einen unbestimmten Schmerz in sich.
    Die fremde Frau war nicht zurückgekommen. Ein Teil von ihm wünschte sich, sie käme. In ihrem Blick war kein Schleier gewesen, keine Entfernung, kein Sicherheitsabstand. Da war etwas Suchendes, etwas, das in ihn hineinsehen wollte wie durch ein Kirchenfenster. Etwas, das Fragen stellen wollte.
    Ihre Augen, dachte er, waren vom exakt gleichen Blau wie Iris’ Augen.
    Später saß er am offenen Fenster und sah zu, wie das Licht in den Wassergräben zwischen den Feldern versank. Er fror, aber es war gut, in der Frühlingsluft zu frieren. Bis gestern hatte er die Singschwäne gehört. Sie waren nur im Winter da. Jetzt, wo der Frühling gekommen war, waren die Schwäne fortgezogen.
    Von unten, aus der Küche, drang das Gemurmel des Fernsehers; ein Indiz dafür, dass Winfried da und wach war, obwohl Lenz nicht sicher war, ob er dem Fernseher jemals zuhörte. Es war die theoretische Möglichkeit, alle Kanäle der Welt zu empfangen, die Winfried brauchte. Wenn er merkte, dass er einzuschlafen drohte, machte Winfried den Fernseher aus, um Strom zu sparen.
    Auf dem Weg zwischen den Feldern war jemand unterwegs. Lenz stand auf und trat an das winzige Fenster der Dachkammer. Die Figur auf dem Weg war klein und schmal, sie kam vom Meer herauf zum Dorf.
    »Iris«, flüsterte er. »Kommst du mich besuchen, jetzt noch? So spät? Ist etwas passiert?«
    Doch als die Gestalt näher kam, sah er, dass sie einen Regenmantel trug: weiß mit buntem Aufdruck. Und dass sie nicht so klein war, wie er gedacht hatte.
    Die Fensterfrau. Er lächelte, als er das dachte: Fensterfrau . Er mochte das Wort.
    War sie unten beim Steg gewesen, bei den stummen Fischerbooten?
    »Das Meer wird Ihnen nicht sagen, wie die Kirchenfenster früher ausgesehen haben«, murmelte er. »Da müssen Sie schon die Leute fragen. Aber die Leute reden auch nicht gern. Nicht mit Fremden. Ich weiß es, ich bin einer von ihnen.« Und er lächelte still in sich hinein. »Von den Fremden.«
    Die Figur im Regenmantel verschwand aus seinem Blickfeld, tauchte mit dem Weg zwischen zwei seichte Hügel ein – das Land war hier gewellt wie das Wasser bei Sturm, Wogenland, Windland. Die Gestalt war verschwunden. Ihr Verschwinden erinnerte ihn wieder an Iris. Wie ihre Augen.
    Ein Kaninchenschatten hoppelte unten über die Wiese.
    Dann hörte Lenz jemanden an der Haustür klopfen. Die Fensterfrau, dachte Lenz, und sein Herz schlug schneller. Aber das war Unsinn, so rasch konnte die Fensterfrau nicht bis zur Haustür kommen.
    »Sieh mal an, der junge Kaminski von der Werkstatt«, sagte Winfrieds spröde Stimme unten im Flur. »Was willst du? Wir haben kein Auto zu reparieren.«
    »Ich will mit ihm reden. Mit dem Friedhofskind.«
    »Kinder«, erwiderte Winfried bedächtig, »gibt es in diesem Haus keine.«
    »Verdammt, du weißt genau, wen ich meine. Den jungen Fuhrmann.«
    Winfried, der alte Fuhrmann, schwieg einen Moment, vielleicht sah er an Kaminski vorbei in die Ferne, wie er es oft tat, das funktionierende Auge zusammengekniffen, als blendete ihn, was er dort sah. »Hat einen Vornamen.«
    Kaminski knurrte. »Lenz. Ich will mit Lenz reden. Verdammt, holst du ihn jetzt oder nicht?«
    Winfried hielt sich am Treppengeländer fest, um hinaufzurufen.
    »Da ist wer für dich!«, rief er.
    Lenz war neben das Geländer getreten. »Ich weiß«, sagte er. »Ich will nicht mit ihm reden. Ich mag ihn nicht.«
    »Du kommst jetzt runter«, sagte Winfried. Es war keine Bitte, noch nicht einmal ein Befehl. Es war die nüchterne Feststellung einer Tatsache. Lenz zuckte die Schultern und stieg die schmalen Holzstufen hinunter. Er war noch immer der kleine Junge, dachte er, den der alte Totengräber in sein Haus

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