Friedliche Zeiten - Erzählung
tröstet, soll sie es doch bald einmal tun. Dann sprachen sie darüber, wie sie es tun könnte, und ob sie es allein tun sollte oder lieber wir alle zusammen. Mir wäre es ganz recht gewesen, wenn sie es allein getan hätte, aber sie hätte eine sehr weite Strecke mit dem Auto fahren müssen, weil das Grab wegen der Partisanen ja im Ausland war, und dann wäre sie die ganze Zeit so traurig gewesen, daß es mir schließlich auch lieber war, sie würde nicht mit dem Auto fahren, und der Vater sagte sehr bestimmt, daß wir es alle zusammen machen würden, weil wir uns wegen des Hausbauens keinen Karosserielackierer mehr leisten könnten, also würde lieber er sich ans Steuer setzen. Ich dachte, daß die Mutter vielleicht trotzdem allein fahren wollte, weil es ja ihr toter Verlobter war und wir bis auf Flori nicht viel mit ihm jemals zu tun gehabt hatten, aber sie wollte auf jeden Fall, daß wir mitkommen. So beschlossen wir, alle zusammen zu fahren, und weil der Vater mit dem Hausbauen möglichst rasch vorankommen wollte, fuhren wir in den nächsten Ferien.
Es war Frühling, Wasa hatte keine Geschwulst, Floris Wimpern waren nachgewachsen, und weil es Frühling war und an der Autobahn alles anfing, grün zu werden, und auf den Äckern blühten die Bäume, dachte ich, vielleicht schaffen sie es doch noch, jetzt fahren wir dahin, sehen uns diesen Soldatenfriedhof an, Grab Nummer 317 , 42 . Reihe von links, dann fahren wir wieder zurück, sie bauen ein Haus, und der ganze Krieg ist vorbei, nur daß ich Wasa dann nicht mehr vor dem Einschlafen habe, aber vielleicht kann ich lernen, allein einzuschlafen, ich dachte, es ist vielleicht ein Opfer, aber weil es an der Autobahn Frühling war und alles blühte, beschloß ich, daß es nur ein kleines Opfer ist, und war bereit, es zu bringen; und fast hätte es geklappt, aber es klappte dann nicht, obwohl es so aussah, als könnte es klappen, auch wenn wir in einem Hotel wohnten, in dem sie an alles Knoblauch machten, und die Mutter war empfindlich gegen Knoblauch, aber sie wurde trotzdem nicht krank, sondern erinnerte sich daran, daß sie schließlich hergekommen war, um einen toten Verlobten zu besuchen. Flori sagte, sind hier überall Partisanen, und die Mutter sagte, Partisanen sind nur im Krieg. Der Vater sagte, Partisanen sind auch im Krieg nur in überfallenen Ländern, und ich wollte möglichst schnell aus diesem überfallenen Land wieder raus und das Soldatengrab vielleicht sehr früh morgens oder sehr spät abends hinter mich bringen, wenn es dunkel wäre und nicht so viele Partisanen und Partisanenkinder unterwegs wären, die beobachten können, wie wir den toten Verlobten besuchen, und die Partisanen und Partisanenkinder konnten ja nicht wissen, daß er dagegen gewesen war, ihr Land zu überfallen und von feigen Partisanen erschossen zu werden. All das war mir sehr unangenehm, ich versuchte, möglichst nicht so viel darüber nachzudenken und vor dem Einschlafen nicht mit Wasa darüber zu sprechen, weil ich mich daran gewöhnen wollte, dann das Opfer bringen zu können, und es war alles vergeblich, weil genau an dem Tag, an dem wir zu dem Verlobten gingen, noch jemand erschossen worden war, vielmehr zwei Abende vor dem Tag, an dem wir zu dem toten Verlobten gingen, aber es stand an dem Morgen in der Zeitung, die schon zwei Tage alt war, als der Vater sie beim Frühstück las. Er sagte, in Memphis haben sie vorgestern abend Martin Luther King erschossen. Ich wartete darauf, daß er sagte, diese Idioten, aber er sagte es nicht, er war nur weiß im Gesicht geworden, dann legte er sein Honigbrot auf den Teller, sagte, ihr entschuldigt mich bitte, mir ist übel, und ging aus dem Speisesaal. Die Mutter las es dann auch. Wir warteten, bis sie gelesen hatte, und dann sagte sie, daß es offenbar ein Schwarzenanführer gewesen ist. Wasa und ich sahen uns an, weil sie klang, als würde sie heute nur einen Toten ertragen können, und zwar ihren eigenen toten Verlobten, und als ob sie es nicht ertragen könnte, daß dieser Schwarzenanführer sich ausgerechnet so erschießen lassen mußte, daß es heute früh in der Zeitung stand; und als der Vater dann wieder in den Speisesaal kam, war er immer noch weiß im Gesicht. Die Mutter weinte später, als sie am Grab stand, und war ein bißchen enttäuscht, daß wir nicht mitweinten, aber ich konnte nicht gut mitweinen, weil ich immer denken mußte, wenn der Verlobte nun nicht erschossen worden wäre, dann gäbe es uns nicht. Der Vater stand
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