Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Friedliche Zeiten - Erzählung

Friedliche Zeiten - Erzählung

Titel: Friedliche Zeiten - Erzählung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rotbuch-Verlag
Vom Netzwerk:
und nur einen einzigen Mann lieben können, war das natürlich ihr Verlobter gewesen, und mir war klar, was sie meinte, wenn sie von ihrer Lebenstrauer sprach, aber zugleich mußte sie dann doch einsehen, daß es leichter ist, sich scheiden zu lassen, wenn der einzige Mann, den sie in ihrem Leben je hatte lieben können, sowieso schon seit über zwanzig Jahren tot ist. Wasa sagte, na siehst du, Mama, dann kannst du dich doch wirklich scheiden lassen, und wegen uns mach dir keine Sorgen. Wir dachten noch ein bißchen über eine Scheidung nach, und Flori und die Mutter waren dagegen, aber wenn wir noch ein bißchen länger darüber gesprochen hätten, sagten wir uns anschließend, hätten wir es mit Sicherheit diesmal geschafft; sie fragte mehrmals, meint ihr, Kinder, meint ihr wirklich, ich soll es machen, und jedesmal sagten wir wieder, ja, und daß sie sich wegen uns keine Sorgen zu machen braucht; und es war einfach Pech, daß es mittendrin klingelte. Die Mutter ging im Bademantel an die Tür und machte auf, weil es Sonntag vormittag war und sonntags niemand betteln kam, und ich glaubte schon nicht mehr an den Lieblingssatz, aber es war der Vater. Er sah auch nicht aus, als ob er sehr viel geschlafen hätte, und ging ins Schlafzimmer. Dann kam er ohne Lederjacke wieder raus und setzte sich an den Tisch. Als er saß, stand die Mutter auf, ging ins Schlafzimmer und kam auch gleich wieder raus und sagte, daß in der Jackentasche keine Schlaftabletten zu finden gewesen waren, aber etwas hatte sie gefunden und sagte, es bringe sie um, daß er auf zwei Kinokarten im Kino war, und der Vater sagte etwas von Hollywoodschinken. Wasa und ich sagten nichts, weil wir als feige Verräter wohl sowieso nicht mehr erwarten konnten, in Hollywoodschinken mitgenommen zu werden, und wenn Kinokarten in der Jackentasche waren, dann hatte er auch niemanden getroffen zum Witzeerzählen; wir dachten an die Ami-Stiefmutter, zu der die Mutter uns nicht lassen würde, aber vielleicht würden sie es jetzt schaffen und sich irgendeine andere Art Scheidung ausdenken, nachdem wir beim Frühstück schon gesagt hatten, daß wir mit allem einverstanden wären, und dann schickten sie uns zum Spielen nach draußen, alle drei. Flori verschwand im Fahrradkeller zu seinen Micky-Maus-Heftchen und den anderen Kinderschwindeleien, die er dort versteckt hatte, und Wasa und ich gingen hinüber zu dem Rohbau, um alles von vorn überdenken zu können, nachdem jetzt die Mutter gesagt hatte, wir sollen bei ihr bleiben und dürfen am Wochenende nicht zum Vater. So hatten wir uns das nicht ausgedacht.
    Als wir auf das Gerüst kletterten, kamen ein paar Jungen aus der Siedlung, stellten sich unters Gerüst, taten so, als wollten sie auch hochklettern, aber dann rief einer, die Wasa hat ja Windeln an. Wasa heulte nicht, aber es war trotzdem umsonst gewesen, daß sie sich in den stinkenden Bunker getraut hatte, ohne die Nase zuzuhalten, bloß um zu zeigen, daß Mädchen Mut haben können, und am liebsten hätte sie sich jetzt geprügelt oder geheult.
    Wir saßen dann lange in unserer Rohbau-Wohnung, und das einzige, was uns noch einfiel, wäre ein Ami-Stiefvater gewesen, aber daran war nicht zu denken, schon an einen ganz normalen West-Stiefvater war leider nicht zu denken, nachdem die Mutter uns gesagt hatte, zu welcher Sorte Frauen sie gehörte, obwohl wir gar nicht so gern einen normalen West-Stiefvater wollten, weil wir dann zwar Ami- Hosen gehabt hätten statt unserer Schottenröcke, aber im Westen wimmelte es nur so von Nazis, und niemand würde das Lied von der Buckower Süßkirschenzeit dagegenpfeifen und von dem Volkseigentum und den Idioten von der LPG , wenn die Mutter Flori Volkslieder vorsingen würde, weil ihr Verlobter im Krieg erschossen worden war. Es war hoffnungslos, aber wir gingen zum Mittagessen nicht rauf, weil wir ihnen Zeit geben wollten, sich vielleicht selbst etwas auszudenken; und dann ging die Wasserstoffbombe hoch, die Flori im Fahrradkeller gebastelt hatte. Wir hörten nebenan im Rohbau, wie es bei uns im Fahrradkeller knallte, man hörte es ziemlich laut, weil der Rohbau noch keine Fenster hatte, und als wir rüberkamen, war Flori zum Glück nicht mit seiner Bombe zusammen hochgegangen und selbst ziemlich verwundert. Ich wischte ihm die Haare und Augenwimpern ab, die zwirselig weiß versengt waren, und Wasa wollte wissen, wie er es gemacht hatte, und er hatte es mit einer Bärenmilchdose und einer Fahrradbatterie gemacht, er hatte in

Weitere Kostenlose Bücher