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Friedliche Zeiten - Erzählung

Friedliche Zeiten - Erzählung

Titel: Friedliche Zeiten - Erzählung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rotbuch-Verlag
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sie dann schließlich ging, wußten wir nicht, was eine Totaloperation ist. Weil Wasa gestern ihre Tage bekommen hatte, nahmen wir an, es hätte wahrscheinlich eher mit Innereien zu tun als mit Armen und Beinen, aber wir wußten es nicht genau und nahmen uns vor, bei Gelegenheit die Osterloh-Kinder zu fragen, obwohl die es wahrscheinlich auch nicht wußten, weil es ihnen entweder niemand gesagt hatte, oder es hatte ihnen jemand gesagt, aber dann hatten sie auch nur das Wort gehört und wußten nicht genau, was es heißt.
    Wasa war froh, daß ich endlich in unserem Zimmer war und wir im Bett lagen, bevor an diesem Tag womöglich noch etwas passieren konnte, obwohl heute keine Negermusik aus dem Wohnzimmer herüberklang, wir horchten nach drüben, und als wir schließlich Flori mit der Mutter im Badezimmer hörten, wußten wir, sie fährt heute abend jedenfalls nicht an die Wand. Danach lagen wir im Bett und unterhielten uns fast wie sonst, aber wegen dieser Tage und all der Aufregung war es doch anders; ich merkte es, weil ich so froh war, keine Tage zu haben, und Wasa merkte es, weil sie die ganze Schuld wegen heute abend allein hatte und wir sie nicht teilen konnten wie bei den Schulpausenbroten. Sie merkte sogar, daß ich ihre Hälfte nicht haben wollte, und trotzdem konnten wir nicht miteinander streiten wie sonst, wenn wir uns leise stritten, wer schuld daran ist, daß die Mutter drüben im Schlafzimmer liegt und stirbt. Schließlich sagte Wasa, am liebsten würde ich jetzt etwas ganz Normales machen, und ich sagte, was zum Beispiel wäre jetzt etwas Normales, aber da sprang sie schon aus dem Bett, machte Licht an und sagte, zum Beispiel würde ich sehr gerne Schularbeiten machen. Sie griff sich ihren Schulranzen, setzte sich an ihren Tisch und fing an, ihre Schularbeiten zu machen. Ich sagte, hast du sie nicht schon gemacht. Wasa sagte, ich mache sie einfach noch mal. Später hörten wir, wie die Mutter die Sicherheitskette an der Wohnungstür abmachte und dann wieder vorlegte, dann setzte sie den Kaffee für morgen früh auf, obwohl morgen Sonntag war, und ging ins Bad. Kurz darauf kam sie nackt in unser Zimmer gestürzt und fragte, wer von uns beiden ein Dreiviertel-Röhrchen Schlaftabletten geschluckt hätte; wir sagten, keine, und so wußte sie, daß es der Vater war. Danach hatten wir wenigstens wieder zusammen ein Geheimnis.
    Am nächsten Morgen hatte die Mutter vor Sorgen nicht geschlafen, und beim Frühstück sagte sie, Kinder, was soll ich nur tun. Es war eine ihrer Lieblingsfragen, und meistens wußten wir nicht, was sie tun soll, aber heute wußten wir immerhin, daß der Vater keine Schlaftabletten geschluckt hatte. Ich dachte, aber an den Satz mit der blauen Haubitze kann man wohl nicht mehr glauben. Wasa sagte, ich glaube, ich weiß was: ihr solltet euch scheiden lassen. Die Mutter sagte, daran hätten sie auch schon gedacht, aber es geht nicht wegen der Kinder, weil wir dann keinen Vater mehr hätten. Wir sprachen eine Weile darüber, ob sie sich scheiden lassen sollten, und Wasa schlug vor, nach so einer Scheidung könnten wir doch am Wochenende zum Vater, oder wir könnten es andersherum versuchen und an den Wochenenden zu ihr, aber davon wollte die Mutter nichts wissen, und sie wollte uns auch nicht an den Wochenenden zum Vater lassen, und außerdem sagte sie, daß es Frauen gibt, die nur einmal im Leben und nur einen einzigen Mann lieben können. Dann weinte sie, und also dachten wir, sie weint, weil sie nur einmal im Leben und nur einen einzigen Mann lieben konnte, und ausgerechnet der ist im Krieg erschossen worden, und sie weint jetzt wegen ihres Verlobten, weil wir von diesem Verlobten wußten, daß sie ihn geliebt hatte. Wir wußten von dem Verlobten außerdem noch, daß er kein Nazi gewesen war, und deshalb hatten wir eigentlich nie etwas gegen ihn gehabt. Es war uns sogar ganz recht, daß die Mutter einen Nicht-Nazi zum Verlobten gehabt hatte, weil sie dann wahrscheinlich auch kein Nazi gewesen sein konnte, wir dachten, es ist doch unwahrscheinlich, daß ein Nicht-Nazi und ein Nazi sich miteinander verloben; und es beruhigte uns, an diesen Verlobten zu denken, wenn die Mutter die deutschen Flüsse von unten nach oben aufzählte und wenn wir Stadtlandfluß mit ihr spielten, weil wir keine Nazi-Kinder sein wollten, aber zugleich war er uns unangenehm, weil sie immer traurig wurde, wenn sie sich an ihn erinnerte; und wenn sie jetzt sagte, sie gehört zu den Frauen, die nur einmal im Leben

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