Friedo Behuetun 02 - Dunkles
Behütuns zog es an diesem Abend noch nicht nach Hause, es war viel zu heiß, außerdem hatte er die Vorstellung eines kühlen Bieres irgendwo im Freien. Die Sommermonate waren viel zu kurz und die Abende, an denen man bis in die Nacht draußen sitzen konnte, unter einem dichten Blätterdach oder, besser noch, unter freiem Himmel, irgendwo auf Brauereistühlen – Biergarnituren hasste er! –, die auf Schotter standen oder Kies, zu selten. Diese Abende musste man nutzen, ehe wieder der erste Schnee fiel.
Aber wohin?
Wie so oft hatte er sich in sein Auto gesetzt und war einfach losgefahren. Ziellos, gedankenlos, nur hinaus. Die Biergärten der Stadt waren nicht so sein Pflaster. Die vielen Studenten dort immer und die im Inneren heimatlosen, meist schon am frühen Abend volltrunkenen Wohnblock-, Hinterhofwohnungs- oder Hochhausbewohner waren nicht das, was er als Umgebung liebte. Und die Engländer, Amerikaner oder Japaner, die in den Sommermonaten die Innenstadt bevölkerten und sich mal so richtig nürnbergerisch oder fränkisch gaben, schon gleich gar nicht. Das ist halt der Nachteil, wenn man in einer Stadt wohnt, die schön ist. Dann finden andere sie auch schön und fallen in Scharen ein.
Kommissar Friedo Behütuns hatte das Fenster seines Kombis heruntergelassen, den Arm rausgelegt und fuhr dahin. Langsam wurden die Temperaturen erträglich, zumindest im Fahrtwind. Die Sonne hatte sich endlich dann doch hinterm Horizont verkrochen, aber der wolkenlose Himmel strahlte von Westen her mit einer Kraft, die noch in Stunden nichtversiegt sein würde. Nur im Osten zeigte der Himmel schon eine Ahnung der blaudunklen Färbung, die die Nacht ankündigte. Ernst nehmen aber konnte man das noch nicht. Noch lange nicht.
Wohin sollte er fahren?
An einem Dienstagabend machen im Fränkischen die vertretbaren Wirtshäuser meist früh zu. Oder sie haben ohnehin Ruhetag. Das war auch nicht mehr so wie früher. Früher konnte man sich darauf verlassen, dass ein Wirtshaus montags Ruhetag hat oder am Donnerstag. Weil sonntags immer viel los war und man sich ausruhen musste, außerdem war der Sonntag auch für die Kundschaft anstrengend mit Frühschoppen, Schweinebraten und Kloß zum Mittag und schließlich noch Kaffee, Cognac, Kuchen, Verwandtschaft und Abendessen. Also brauchte auch die Kundschaft einen Ruhetag. Zudem hatte man am Montag oft geschlachtet. Oder am Donnerstag. Da gab’s am Vormittag vielleicht noch Wurstsuppe – Woschdsubbm – und G’selchtes, frische Blut- und Leberwürste auf Kraut, aber dann war Ruhe. Abends gab es nichts, da war zu. Herrlich die Vorstellung, wie das Innere der Würste aus dem Darm quoll, wenn man sie aufschnitt! Wie das Fett herausfloss, wenn man nur mit der Gabel hineinstach, wie es sich mit dem Kraut vermischte und sich ein Duft entfaltete, der … hmmm! Heute aber dürfen die ja nicht mehr schlachten, weil die EU das so will, man muss sein Fleisch aus der Tötungsfabrik Schlachthof holen, um es zu verwursten, und das kann man jeden Tag. Da läuft das Fließband durch, und getötet wird im Akkord. Also gibt es nicht mehr den Montag und den Donnerstag als Schlachttag, und damit entfällt auch der Grund für den kalkulierbaren Ruhetag. Heute machen die Wirtshäuser zu, wie es ihnen passt, und du kannst dich auf nichts mehr verlassen. Jedes Regelmaß ist dahin. Da kann es passieren, dass du plötzlich in deiner Not beim Griechen landest, beim Türken oder beim Italiener – und wenn du Pech hast sogar beim Chinesen oder Vietnamesen. Industrieententeile fressenoder Maschinenhuhnfetzen aus Holland oder Polen. Mit Reis! Dabei werben viele von denen auch schon mit »Original fränkische Küche«. Na Mahlzeit.
Also wohin?
Behütuns fuhr der untergegangenen Sonne nach, dem Hellen des Himmels hinterher. Der Abend sollte so lange dauern wie nur irgend möglich. So kam er nach Fürth, aus Fürth hinaus nach Obermichelbach, fuhr lustlos durch Herzogenaurach – was soll ich in diesem Kaff, fragte er sich – und hatte sich dann gedanklich schon damit abgefunden, durch den Wald nach Niederndorf zu kutschieren, dort auf die Autobahn und wieder zurück. Dann halt doch auf den Balkon, ein Weizen eingeschenkt und den Baum und das Nachbarhaus anstarren. War ja auch manchmal ganz unterhaltsam. Da entdeckte er ein Schild »Obermembach«, mit einem Sackgassenschild dabei. Diesen Ort kannte er noch nicht, also zündete seine Neugier und befahl ihm: Hin! Etwas Besseres als Herzogenaurach findest du
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