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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janna Hagedorn
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ganz andere Möglichkeit zu sorgen.
    Nämlich, dass keine von uns beiden diese Wattwanderung überleben würde, schon gar nicht, wenn wir in diesem Tempo weiter gingen.
    Ann gab sich alle Mühe, aber sie war nun mal mindestens zehn Zentimeter kleiner als ich und mindestens ebenso viele Kilos leichter. Mittlerweile reichte ihr das Wasser in den Prielen, die unseren Weg querten, schon fast bis zum Knie, und obwohl sie kein Wort darüber verlor, musste es eisig sein. Dazu kam, dass ich immer schlechter den Boden unter unseren Füßen erkennen konnte. Wolken hatten sich vor den Mond geschoben, und es war, als würde die ganze Welt um uns herum zusehends beschlagen wie ein Fenster in einem feuchten Raum. Immer, wenn ich meinte, die Umrisse der Rettungsbake zu erkennen, verflüchtigte sich das Bild wieder im Nebel.
    Und ich war schuld. Ich und mein blöder, lebensgefährlicher Mutterinstinkt.
    Auf einmal fiel mir etwas ein.
    »Lass mich mal runter!«, rief ich aufgeregt. »Ich versuche, Hilfe zu holen! Über Handy!«
    Ann ließ mich ruckartig los. Ich versuchte probeweise, den ver letzten Fuß zu belasten, und ein mörderischer Schmerz durchzuckte mich bis in die Spitzen meiner Durchschnittsaugenbrauen. Keine gute Idee.
    »Scheiße!«, fluchte sie. »Aber ich hab meins gar nicht dabei! Das liegt in meinem Rucksack am Strand.«
    »Aber ich«, sagte ich und versuchte dabei, so cool zu klingen, wie man eben klingen kann, wenn man mit verstauchtem Knö chel in einer Spätherbstnacht mitten in der auflaufenden Flut steht. Vorsichtig fischte ich das Handy aus der Innentasche meiner Jacke und tippte es an. Das Display glomm auf, und im Dunkeln leuchteten mir die Gesichter meiner Familie entgegen. Meine Hände zitterten so stark, dass ich sie kaum erkennen konnte.
    »Hast du Empfang?«, fragte Ann aufgeregt.
    Ich blickte auf das winzige Bildchen eines Signalmastes. Ein einzelnes Klötzchen tauchte auf und verlosch. Tauchte wieder auf. Hektisch tippte ich die Notrufnummer ein und hielt das Telefon an mein Ohr. Bis auf ein bisschen statisches Knistern war da nichts. Das Universum schwieg mich an. Schließlich ertönte ein kurzes Besetztzeichen, dann meldete das Display: »Anruf fehlge schlagen.«
    »Versuch es noch mal!«, sagte Ann. »Vielleicht wenn du das Gerät mehr in Richtung Festland hältst?«
    Mühsam humpelte ich ein paar Schritte in Richtung Osten, bis ich vor einem Priel zu stehen kam. Dabei versuchte ich, das Gurgeln, Glucksen und Strömen darin zu überhören. War doch nur Wasser! Was konnte uns das schon anhaben?
    Doch gerade, als ich erneut die Nummer wählen wollte, er wachte das Gerät in meiner Hand plötzlich zum Leben. Das Klin gelzeichen ertönte, diese unaufgeregte Werbemelodie, die vom Her steller vorgegeben war und die ich nie anders eingestellt hatte, doch dann setzte mein Herz aus.
    Auf dem Display stand »Ronja mobil«.
    »Mäuschen!«, schrie ich in den Hörer. »Mäuschen, kannst du mich hören?«
    Aber wieder war es nur das Schweigen des Universums, das an mein Ohr drang. Keine Ronja. Unglücklich starrte ich auf das Display, auf dem sich das einzige Empfangsklötzchen gerade wieder verabschiedet hatte.
    »Was war das denn?«, fragte Ann und blickte mir über die Schulter.
    »Gott sei Dank!« Ich atmete auf. »Sie lebt! Sie hat versucht, mich anzurufen!«
    »Wer lebt?«
    »Na, Ronja! Meine Tochter!«
    Ann schüttelte grimmig den Kopf. »Hab ich dir doch gleich gesagt.«
    »Mütter sind so.«
    »Mütter sind komisch«, gab Ann zurück. »Versuch’s noch mal mit dem Notruf. Oder lass mich mal.«
    Es war nur eine einzige, flüchtige Bewegung. Anns Hand, die nach meinem Telefon griff, ich, die ich das Gerät reflexhaft an mich zog, schützend, als wollte Ann mir etwas ganz anderes wegnehmen. Meine feuchten Finger taten das Übrige. Und schon segelte es durch die Luft, kam mit einem leisen Platscher auf der Wasseroberfläche auf und versank zwischen den eisigen Wellen, denen man förmlich beim Höhersteigen zusehen konnte.
    Einen endlosen Moment schwiegen wir beide. Es gab nichts mehr zu sagen.
    Wir waren verloren.
    Immerhin: Ronja offensichtlich nicht.
    »Komm«, sagte Ann schließlich, »wir müssen es wenigstens versuchen.«
    Wieder ging sie in die Knie, um mir ihren Rücken anzubieten. Ich schüttelte den Kopf.
    »So wird das nie was. Versuch einfach vorzugehen. Vielleicht schaffst du es ja allein bis zur Rettungsbake. Vielleicht kannst du Hilfe holen.«
    Ann packte mich an der Hand und zog. »Jetzt

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