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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janna Hagedorn
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Hause war. Es kam ja nicht an auf den einen Tag mehr.
    Ich tippte auf »Anruf annehmen« .
    »Hallo zu Hause«, sagte ich und hörte, wie meine eigene Stimme zitterte.
    Am anderen Ende war es still, dann hörte ich aufgeregtes Atmen.
    »Ronja?«, fragte ich erschrocken, »bist du’s?«
    Aber es war nicht Ronja.
    »Sie ist weg«, schrie Torge in den Hörer. »Mommelchen, unser Kind ist weg!«

28
    Meine Lungen stachen bei jedem Schritt, ich pfiff wie eine Lokomotive. Aber obwohl ich kaum Luft bekam, fühlte es sich an, als hätte das überhaupt nichts mit mir zu tun. Mein Körper und ich waren auf eine seltsame Weise getrennt. Auch wenn ich genau merkte, dass ich spätestens auf der Fähre zusammenbrechen würde, meine Beine liefen wie von selbst. Nicht einmal mit Willenskraft hätte ich mich stoppen können. Die Gummistiefel, in die ich in aller Eile geschlüpft war, scheuerten unbarmherzig an der Stelle über der Ferse, an der Torges Pflaster klebte.
    Es fühlte sich schrecklich an, und es fühlte sich gut an. Endlich wusste ich wieder, was zählte. Torges Anruf hatte mein Leben wieder vom Kopf auf die Füße gestellt. Wir mussten Ronja finden. Nur das war wichtig. Alles andere – wer mit wem geschlafen hatte, was Dachwohnungen in Sevilla kosteten und auch was mit dem Zellhäuflein in Anns Bauch wurde – war vollkommen neben sächlich.
    Auf halber Strecke kam mir ein Bus entgegen, über dem Fahrerstand ein beleuchtetes Schild mit der Aufschrift »Inseldörfer«, und ich legte noch mal einen Zahn zu. Wenn die ankommenden Gäste schon im Bus saßen, würden jetzt wahrscheinlich die zusteigen, die am Kai gewartet hatten. Es war allerhöchste Zeit.
    Wie hatte ich in den letzten Tagen nur so egoistisch sein können, so vernagelt, so ausschließlich an meinem eigenen Spaß interessiert? Wie hatte ich mir mehr Sorgen darüber machen können, wie meine Oberschenkel im Halbdunkel aussahen, als um die Frage, wie es mei nem einzigen Kind ging? Ein furchtbarer Gedanke kam mir: Wenn sie wirklich weg war, verschwunden, vom Erdboden verschluckt, wenn wir sie niemals wiedersehen würden, trotz Appellen im Fern sehen und Vermisstenanzeigen mit verschwommenen Fotos auf Milchtüten oder im Internet, dann wäre das Letzte, das ich je zu ihr gesagt hatte, eine rüde Absage gewesen. »Ronja: nee.« Seit diesem Abend hatten wir keinen Kontakt mehr gehabt. Und auch wenn Torge behauptet hatte, dass sie danach auf seltsame Weise zur Ver nunft gekommen sei, ich als ihre Mutter hätte es besser wissen müssen. Jetzt war es zu spät. Torge war am Nachmittag nach Hause gekommen, nach einer Joggingrunde, und hatte Ronja nicht an getroffen. Seit drei Stunden war sie wie vom Erdboden verschluckt. Ronja war abgehauen, wer weiß, wohin. Und wer weiß, mit wem. Ach was, schlimmer. Warum hätte sie denn abhauen sollen? Wir hatten doch immer miteinander reden können! Vielleicht war sie verschleppt worden! Verschleppt von einer Mädchenhändlerbande, die in Mangakreisen nach Opfern suchte. Oder hatte ihr Maschinenbaufreund etwas damit zu tun? Seit Torges Anruf hatte ich zig Nachrichten auf Ronjas Mailbox gesprochen. Keine Antwort.
    Während mein Herz SOS funkte und meine Lungen Pfeifgeräusche machten, lauter als das entfernte Blöken der Schafe auf dem nächtlichen Deich, lief ein Horrorstreifen nach dem anderen in meinem Kopf ab. Ronja, missbraucht in irgendeinem dubio sen Filmstudio in einem Vorort einer Großstadt irgendwo in Ost europa. Okay, ich wusste, dass es meistens umgekehrt war und dass es nicht sehr wahrscheinlich war, dass Schlepperbanden Mädchen aus Deutschland in die Ukraine schafften, sondern eher umge kehrt – aber wer weiß, was in Zeiten der Globalisierung so alles möglich war. Wo auch immer Ronja jetzt war, eines war klar: Von Boldsum aus konnte ich nichts für sie tun.
    Ich musste unbedingt einen klaren Kopf bewahren, jedenfalls, so gut es ging. Ich musste hier weg, ich musste um jeden Preis die letzte Fähre erreichen. Und mich dann gemeinsam mit Torge auf die Suche machen, noch heute Nacht. Mit einem Anflug von Groll dachte ich an Jan. Der war schuld. Er allein war schuld, dass ich meine Chance nicht sofort genutzt hatte, von der Insel wegzukommen, als es wieder ging. Wäre Jan nicht gewesen, ich säße jetzt gemütlich mit Ronja im Wohnzimmer, vielleicht vor einer schönen DVD, und wir würden Chips essen und zur Feier des Tages, weil Samstag war, dürfte Ronja auch etwas trinken. Vielleicht den Gapefruit-Bier-Mix, den es

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