Friesenluege - Ein Nordfriesland Krimi
metallenen Klingelknopf und drückte einmal kurz. Den schnarrigen Ton der Türglocke konnte er bis nach draußen hören. Angespannt wartete er darauf, dass man ihm öffnete.
Er war persönlich nach dem Anruf des Hamburger Kollegen nach Dagebüll gefahren, um mit Erika Matzen zu sprechen. Eigentlich war das weder seine Aufgabe, noch überbrachte er gern schlechte Nachrichten, aber dieser Fall war zu seinem geworden, ohne dass er es gemerkt hatte. Daher war es nun für ihn selbstverständlich, die Frau zu informieren. Während der Fahrt hatte er sich ein paar beruhigende Worte zurechtgelegt. Die würden wahrscheinlich nötig sein, so aufgelöst, wie Erika Matzen bei der Aufnahme der Vermisstenanzeige gewirkt hatte. Die Haustür wurde wider sein Erwarten nicht von Erika Matzen, sondern von einer jüngeren blonden Frau geöffnet, deren Gesicht ihm zwar bekannt war, das er aber auf die Schnelle nicht einzuordnen vermochte. Sie hingegen erkannte ihn sofort. »Kommissar Thamsen. Gibt es etwas Neues von meinem Vater?«
Sie trat zur Seite und bat ihn mit einer einladenden Handbewegung hinein. Er folgte der Aufforderung, war gedanklich allerdings mit der Frage beschäftigt, woher sie sich kannten. »Zahnarzt Dr. Zoll«, half sie ihm schließlich auf die Sprünge.
»Ach ja!« Die Frau war dort früher Zahnarzthelferin gewesen. Augenblicklich meldete sich sein schlechtes Gewissen, weil er schon lange nicht zur Kontrolluntersuchung gewesen war. Schnell schob er den Gedanken zur Seite; schließlich war dies nicht der Grund seines Besuches, sagte er sich.
»Ist Ihre Mutter da?« Manuela Groß nickte. »Aber sie schläft.«
»Dann möchte ich Sie bitten, sie zu wecken.«
»Sie haben keine guten Neuigkeiten, stimmt’s?« Die junge Frau blickte ihn mit großen Augen an. Thamsen schüttelte leicht den Kopf. »Einen Moment bitte.« Sie ließ ihn einfach stehen und ging eine Treppe hinauf. Er hörte ein leises Klopfen, während er sich umblickte. Das Haus war zwar alt, aber trotzdem top in Schuss. Die Einrichtung wirkte neu und modern – und natürlich war die Lage außergewöhnlich gut. Er beugte sich ein Stück vor, um aus dem Wohnzimmerfenster zu blicken. Hier im Erdgeschoss hatte man keine freie Sicht aufs Meer. Das verhinderte der Außendeich. Aber im Obergeschoss musste man darüber hinweg schauen und wahrscheinlich bei gutem Wetter Föhr und die Halligen sehen können. Wirklich schön gelegen, obwohl Thamsen sich nicht sicher war, ob er so nah am Meer leben wollte. Nicht alle Tage gab es Sonnenschein und vor allem im Herbst und Frühjahr wüteten oftmals heftige Stürme. Auch wenn man aufgrund des Deiches heute relativ geschützt wohnte, ganz sicher konnte man sich vor den Naturgewalten nie sein. Das hatte die Vergangenheit immer wieder deutlich gezeigt. Der Blanke Hans ließ sich nicht zähmen. Daher war Thamsen ein klein wenig Abstand zum Meer durchaus lieber als ein direkter Seeblick. Er hörte ein Knarzen auf der Treppe und drehte sich um. Erika Matzen schlurfte geführt von ihrer Tochter ins Wohnzimmer. Der Schlafentzug der letzten Nacht und die Aufregung über das Verschwinden ihres Mannes hatten deutliche Spuren hinterlassen. Ihre Haare standen wirr vom Kopf ab, ihre Augen waren rot und der Blick wirkte glasig. Anscheinend hatte Manuela Groß ihre Mutter auf die Nachrichten vorbereitet.
»Wollen Sie sich lieber setzen?« Erika Matzen nickte und ließ sich leicht seufzend auf das cremefarbene Sofa fallen. »Ja, also«, Thamsen räusperte sich. »Die Hamburger Kollegen haben sich gemeldet. Gestern wurde im Hamburger Volkspark eine männliche Leiche gefunden.«
»Im Volkspark?« Erika Matzen blickte ihn verwirrt an. Wahrscheinlich wusste sie nicht einmal, wo genau der Park lag, geschweige denn, was ihr Mann dort gewollt haben könnte. Doch deswegen war er nicht hier. Noch nicht.
»Ja, also die Kollegen meinen, es könnte sich eventuell um Ihren Mann handeln, und bitten Sie, zu einer Identifizierung nach Hamburg zu kommen.« Er formulierte diesen Satz bewusst vorsichtig, obwohl der Hamburger Kommissar wortwörtlich gemeint hatte: ›Das ist Ihr Vermisster.‹ Doch Irrtümer gab es immer wieder und er wollte nicht derjenige sein, der falsche Annahmen verbreitete, und einen Zusammenbruch der Frau auf gar keinen Fall riskieren. Erika Matzen schien die Tatsache, dass es sich bei der gefundenen Leiche um ihren Mann Heinrich handeln könnte, daher allerdings auch nicht zu realisieren. Sie war mit einem ganz anderen
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