Friesenluege - Ein Nordfriesland Krimi
vermisst, jedenfalls sprach niemand sie an. Laut schnatternd bewegte sich die Gruppe zum Vorplatz der Landungsbrücken, auf dem ihr Bus parkte.
»Hat jeder seinen Sitznachbarn wieder neben sich?«, drang die Stimme des Busfahrers aus dem Lautsprecher, als sie eingestiegen waren und alle Platz genommen hatten. Zustimmendes Gemurmel machte sich breit und Erika erschrak, als ihr klar wurde, dass vor dem Bus niemand mehr stand.
»Nein«, rief sie und sprang auf. »Heinrich ist nicht da!«
2. Kapitel
»Herr Ketelsen, Ihre Hilfsbereitschaft in allen Ehren, aber Sie können den Kleinen nicht immer mit zur Arbeit bringen.«
Haie blickte auf Niklas, der zu seinen Füßen mit ein paar Bauklötzen spielte, dann auf den Direktor der Risumer Grundschule, an der er seit vielen Jahren als Hausmeister tätig war. »Ja, aber er stört doch keinen.«
Herr Mohn seufzte. Er musste zugeben, dass der Junge wirklich sehr lieb war und in der Tat niemanden störte. Ganz im Gegenteil. Die Angestellten verwöhnten ihn nach Strich und Faden, steckten ihm Süßigkeiten zu, scherzten mit ihm. Die Schüler, vor allem die Mädchen, spielten in den Pausen mit dem Kleinen, und auch Haies Arbeit litt in keinster Weise unter der Anwesenheit von Niklas. Der Schulhof war wie eh und je sauber gefegt und die Böden im Schulgebäude glänzten. Trotzdem konnte er dem Hausmeister das nicht ewig durchgehen lassen. Nachher kamen die anderen Mitarbeiter auch noch auf die Idee, ihre Kinder mit zur Arbeit zu bringen. Und wo sollte das hinführen? »Es geht trotzdem nicht. Ihr Freund muss sich endlich um eine andere Lösung kümmern.«
Haie nickte traurig, obwohl er wusste, dass Niklas über kurz oder lang eine anständige Betreuung brauchte. Doch er war so froh gewesen, als Tom es endlich geschafft hatte, sich aufzuraffen und wieder einen Job anzunehmen. Da war die Frage, wer sich um den Kleinen kümmern sollte, erst einmal nebensächlich gewesen.
Die letzten eineinhalb Jahre waren für Tom und auch für Haie nicht einfach. Und es kam ihm wie gestern vor, als ein Anruf ihr aller Leben zerstörte.
Dabei hatte der Abend im Dezember 2003 so nett begonnen. Sie hatten mit dem befreundeten Kommissar Dirk Thamsen zusammen gesessen und mit ihm den Abschluss eines Falls gefeiert. Vor Niklas Geburt waren sie dazu meist in die griechische Taverne nach Niebüll gefahren, in der sie alle Stammgäste waren. Doch mit einem Baby musste man umdisponieren, und daher hatten sie bei Tom und Marlene gefeiert und das Essen bestellt. Die Männer hatten ordentlich auf den Ermittlungserfolg angestoßen und Marlene, die wegen des Stillens keinen Alkohol hatte trinken dürfen, war die Einzige gewesen, die nach Niebüll fahren konnte, um die Bestellung abzuholen.
»Es hat eine Explosion beim Griechen gegeben«, hatte man Dirk Thamsen per Telefon informiert. »Mit einer Toten.« Sie hatten sofort gewusst, dass es Marlene war, die bei dem Anschlag ums Leben gekommen war. Und waren ausnahmslos alle in ein tiefes dunkles Loch gefallen. Der Tod der Ehefrau und Freundin hatte den drei Männern den Boden unter den Füßen weggerissen.
Thamsen und Haie war es leichter gefallen, wieder an die Oberfläche zu gelangen. Dirk Thamsen hatte sich wie wild in die Ermittlungen gestürzt und Haie hatten seine Pflichten als Patenonkel Tag für Tag überstehen lassen. Aber Tom hatte Marlenes Tod beinahe um den Verstand gebracht. Er hatte sich im Schlafzimmer verschanzt und niemanden an sich herangelassen. Die ersten Tage hatte Haie ihn gelassen. Er war viel zu beschäftigt gewesen, mit Niklas und sich selbst. Nach und nach hatte er es dann aber mit der Angst zu tun bekommen. Tom war nicht mehr ansprechbar gewesen. Er hatte auf dem Bett gelegen und gegen die Decke gestarrt. Alles um ihn herum schien nicht zu existieren – auch Niklas nicht. Irgendwann hatte Haie keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als Tom in eine Klinik einweisen zu lassen. Mehrere Wochen wurde er dort behandelt, ein Suizidversuch abgewehrt, und erst nach drei Monaten hatte man ihn unter bestimmten Auflagen entlassen. Haie hatte seine Wohnung in Maasbüll gekündigt und wohnte seitdem bei Tom und Niklas. Nur sehr langsam war es mit Tom bergauf gegangen und oft hatte es Rückschläge gegeben. Daher war Haie überglücklich gewesen, als Tom sich um den Auftrag in Dagebüll bemühte – und er hatte dem Freund versprochen, sich um Niklas zu kümmern.
Doch der Kleine war noch nicht trocken und daher wollte der örtliche Kindergarten
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