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Friesenrache

Friesenrache

Titel: Friesenrache Kostenlos Bücher Online Lesen
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breitete sich auf dem Gesicht des jungen Mannes aus, das von einem Ohr zum anderen reichte. Er stand auf und wischte sich die Handflächen an seinem weißen Kittel ab, bevor er ihm die Rechte zur Begrüßung reichte.
      Thamsen, dem in dieser Umgebung tatsächlich kleine Schauer über den Rücken liefen, lächelte gequält. Er fühlte sich unwohl in diesen kalten Kellerräumen, durch die der Hauch des Todes wehte. Der süßliche Leichengeruch, der die Luft in diesen Räumen schwängerte, erschien ihm beinahe unerträglich. Die toten Körper bleich und blass. Kalt, da kein Leben mehr in ihnen pulsierte. Er konnte sich nicht daran gewöhnen. Nicht an den Anblick und auch nicht an den fauligen Gestank.
      Den anderen jedoch belustigte sein Unwohlsein. »Bisschen Gruselkabinett erleben?«, witzelte er und schnitt ein paar hässliche Grimassen. Thamsen kannte den Arzt bereits von vorangegangenen Ermittlungen und auch seine makabere Art im Umgang mit seinem Betätigungsfeld. Für Hermes waren der Verwesungsgeruch und die Leichen Alltag. Gehörten zu seinem Leben, waren etwas völlig Normales. Er hatte sich an die eisigen Körper gewöhnt, sah in ihnen nicht mehr den Menschen als solches, als Persönlichkeit, sondern nur noch seine sterbliche Hülle, das Material, an dem er seine Arbeit verrichtete.
      Wahrscheinlich kann man den Job ohne eine gehörige Portion schwarzen Humors gar nicht ausüben, dachte Thamsen beim Anblick seines Gegenübers, der sein Gesicht mit beiden Händen zu einer einzigen Hautfalte zusammenschob.
      »Ich bin wegen der toten Frau aus dem Herrenkoog hier«, versuchte er die Vorführung des jungen Arztes zu beenden. Der unterbrach tatsächlich seine Grimassenshow und schaute ihn mitleidig an.
      »Da sind Sie leider zu spät dran.«
      »Zu spät? Was soll das heißen? Die Tote wurde doch erst gestern Abend hierher überführt.«
      »Und vor einer knappen halben Stunde auch schon wieder abgeholt«, klärte Dr. Hermes ihn auf. Der Staatsanwalt habe eine Obduktion angeordnet.
      »Das weiß ich. Schließlich habe ich diese selbst beantragt. Aber wieso kommt denn Dr. Becker nicht her?« Er war es gewohnt, dass der Gerichtsmediziner aus Kiel bei ungeklärten Fällen meist persönlich nach Niebüll kam. Oft nutzte der Arzt diese Gelegenheit, sich gleichzeitig ein Bild vom Tatort zu machen.
      »Dr. Becker ist in Urlaub, und seine Vertretung hat gesagt, wegen eines Suizids fahre er keine 120 Kilometer. Deswegen ist die Überführung der Leiche nach Kiel angeordnet worden.«
      Thamsen, der zwar zunächst auch davon ausgegangen war, dass Sophie Carstensen sich freiwillig das Leben genommen hatte, hielt die vorschnelle Vorgehensweise der Mediziner dennoch für unangebracht. Nicht umsonst hatte er eine Obduktion beantragt.
      »Wer sagt denn, dass es sich tatsächlich um einen Selbstmord handelt?«, fuhr er den Mediziner an.
      »Ist es keiner?«

    Friedhelm Carstensen saß bewegungslos am Küchentisch und starrte auf den Kalender an der gegenüberliegenden Wand. Das Bild über den Datumsangaben zeigte eine Blüte der Echinacea, darunter den Werbeslogan einer großen Arzneimittelfirma. Seine Frau hatte den Jahresweiser als Werbegeschenk von dem netten Apotheker am Marktplatz bekommen.
      »Das hab ich doch nicht gewollt«, murmelte er ununterbrochen und meinte damit den Selbstmord seiner Schwägerin. Er fühlte sich schuldig, nicht zuletzt, weil seine Frau ihm vorwarf, Sophie mit seinem unmöglichen Benehmen und unflätigen Äußerungen auf der Trauerfeier regelrecht in den Freitod getrieben zu haben.
      »Was glaubst du denn, wie sie sich gefühlt haben muss?«, fragte Irmtraud und blickte ihn dabei vorwurfsvoll an.
      Sie hatten in der Nacht von der Selbsttötung der Schwägerin erfahren. Ulf hatte angerufen und ihnen unter Tränen vom Tod seiner Mutter berichtet.
      »Sollen wir kommen?«, war Irmtraud Carstensens prompte Reaktion gewesen, doch der Neffe hatte dankend abgelehnt. Die Polizei habe das Haus vorläufig abgesperrt, hatte er erklärend hinzugefügt. Er selbst sei im Gasthaus an der B5 untergebracht.
      »Das hab ich nicht gewollt«, wiederholte Friedhelm Carstensen. »Die arme Sophie, das hab ich wirklich nicht gewollt.«
      »Das hättest du dir vielleicht vor deinem unmöglichen Auftritt in der Wirtschaft überlegen sollen«, kommentierte seine Frau die viel zu späte Einsicht. Sie war immer noch verärgert über sein peinliches Benehmen an der Kaffeetafel.

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