Friesenschnee
wusste zunächst überhaupt nicht, wer das war und ob das nicht zu dieser Aufführung im Wasserturm gehörte.«
Das war für Kommissar Hansen nachvollziehbar, und so nickte er ihm zu. »Warum haben Sie dennoch auf ihn geschossen?«
Kramer antwortete prompt. »Die Suchscheinwerfer erleuchteten diese Gestalt zunehmend, und ich erkannte diesen Galgenvogel wieder.«
Hansen bohrte nach: »Sie kannten ihn? Woher?«
Kramer antwortete zögerlich. »Nun, ich habe ihn irgendwann einmal aus Kerstins Wohnung herausgeworfen. Er hatte diese Schweinsaugen. Drogen, Sie wissen? Er war irgendein hergelaufener Schauspieler aus Hamburg und hat sie nur ausgenutzt. Denken Sie aber bitte nicht schlecht von meiner Tochter. Sie ist einfach nur zu gutgläubig, ihr fehlt manchmal ein wenig Menschenkenntnis.«
Ungläubig fragte Hansen nach. »Und deswegen haben Sie ihn erschossen?«
»Nein, nein. Erst als er Kerstin als Nutte beschimpfte, wurde mir schlagartig klar, dass er ihr Peiniger sein musste. So, wie der Galgenvogel sich auf dem Dach gebärdete, lag er sicherlich nicht zum ersten Mal mit dem Gesetz in Konflikt. Ich malte mir lebhaft aus, wie der sich mit seinen schauspielerischen Künsten vor Gericht aus der Schlinge ziehen würde. Man sieht das doch ständig im Fernsehen, wenn sich Knackis mit ihren Schandtaten in irgendwelchen Talk-Shows oder Singwettbewerben brüsten. Ich wollte aber nicht, dass seine Tat an Kerstin ungesühnt blieb. Deshalb zog ich unbemerkt die Dienstwaffe aus dem Halfter und zielte auf ihn, als er sich für kurze Zeit nicht bewegte. Erst als ich mir sicher war, dass ich ihn treffen würde, drückte ich ab.«
Hansen drehte sich kurz zu Fingerloos um, der durch sein stummes Nicken die Aussage bestätigte. Der Kommissar drehte sich wieder zu Kramer zurück. »Sie haben ihn mit einem Schuss getroffen?« Kramer war sich seiner Sache sicher. »Ja, denn er taumelte sofort, und wenig später stürzte er vom Dach. Ich bin dann an meinen sprachlosen Kollegen vorbei und habe mich sofort meinem Einsatzleiter gestellt, wie es sich als Schutzmann gehört, der einen Fehler begangen hat.«
Das Räuspern von Direktor Magnussen war in diesem Moment der Stille nicht zu überhören. Der schien darauf bedacht zu sein, Kramer auf sein Fehlverhalten festzunageln, aber Hansen ging es um neue Erkenntnisse.
Mit einem kurzen Blick wollte sich Hansen bei Fingerloos versichern, ob er aus ermittlungstechnischer Sicht den Tatvorgang soweit bestätigen konnte, aber das tat er nicht.
»Es tut mir leid, aber es ist spät in dieser Freitagnacht geworden, die Gerichtsmedizin wird erst am Montag eine vollständige Obduktion vornehmen können. Die Spurensicherung hat auf den ersten Blick keinen Einschuss bei Halbedel feststellen können.«
Jetzt betrat Oberkommissar Stüber mit gewichtiger Miene den Raum und hielt Hansen einen Auszug aus dem Strafregister von Halbedel vor die Nase. Fünf Verurteilungen in den letzten vier Jahren, allesamt wegen Belästigung junger Männer und Frauen, zwei davon sogar minderjährig. Ein Opfer musste nach der Tat ambulant im Krankenhaus behandelt werden. Auf freiem Fuß befand er sich zudem nur zur Bewährung.
Gut, das musste Kramer in seiner jetzigen Verfassung nicht mitbekommen, das würde er noch früh genug von seinem Anwalt nach dessen Akteneinsicht erfahren.
Hansen dankte Stüber, der den Raum sofort wieder verließ, ohne Direktor Magnussen auch nur eines Blickes zu würdigen.
Aufgrund der Sachlage erschien es Hansen am sinnvollsten zu sein, geschäftsmäßig vorzugehen. »Gut, dann müssen wir das Ergebnis der Gerichtsmedizin am Montag abwarten. Kollege Kramer, Ihnen wird das weitere Prozedere bekannt sein. Sie werden vom Dienst suspendiert, und es ist nach Lage der Dinge nicht ausgeschlossen, dass der Staatsanwalt Untersuchungshaft für Sie beantragen wird.«
Teilnahmslos nickte Kramer. Kommissar Hansen war jetzt egal, was Polizeidirektor Magnussen dachte. Der arme Teufel vor ihm tat ihm leid. Hansen bemühte sich, ein wenig auf dessen Gefühlslage einzugehen. »Ich bedaure das, Kramer. Sobald wir etwas Neues von ihrer Tochter erfahren, werden wir Sie unverzüglich benachrichtigen. Seien Sie stark. Kann ich als Kollege noch etwas für Sie tun? Soll ich Ihre Frau benachrichtigen?«
Kramer schüttelte abwesend den Kopf, als wenn er mit allem Irdischen abgeschlossen hätte.
Wiederum eilte Stüber herein und überreichte Hansen eine Nachricht aus dem Krankenhaus. Kerstin Kramer musste wegen
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