Friesenschnee
seit Jahren nur noch Lollo nennen. Er hatte immer schon ein Auge auf Robert geworfen, das weiß ich.«
Nun hatte Stuhr einigen Nachfragebedarf, denn die ihm bisher bekannten Mitglieder der Truppe kamen ihm ausgesprochen seltsam vor. »Das ist aber schon ein schräger Vogel, dieser Lothar. Oder Lollo. Mit Verlaub, deine Kollegen scheinen mir alle ein wenig durchgeknallt zu sein.«
Jenny schüttelte energisch den Kopf, als sie ihr Dasein als Schauspielerin verteidigte. »Natürlich leben wir Schauspieler ein wenig anders als der Rest der Welt: engagiert und einzig der Kunst verpflichtet. Ein bürgerliches Leben kann man schlecht führen bei wenig Verdienst, und dazu abends noch die Vorstellungen. Der ganze Druck, der auf einem lastet, vor dem Publikum nicht zu versagen. Wenn man im Ensemble nicht zusammenhält, dann steht man vor dem Nichts.«
Obwohl Stuhr den Begriff Ensemble für diese zusammengewürfelte Truppe für zu hochtrabend hielt, musste er ihr zustimmen. Er war nachdenklich geworden und suchte weiter ihre Hand.
In die Stille hinein begann sie theatralisch aufzuschluchzen. »Ach, Stuhr, was ist denn jetzt besser geworden für mich? Wir sehen uns gerade einmal am Wochenende. Du nutzt mich nur aus. Damals bei meinen Schauspielkollegen hat mein Leben wenigstens noch einen Sinn gehabt.«
Das saß. Stuhr zuckte zusammen. Empfand sie etwa den Platz an seiner Seite als unattraktiv? Er zog seine Hand zurück. Sicher, sie wollte mehr von ihm. Er ja auch von ihr. Aber weitreichende Einschnitte in sein Leben, die später nur schwer korrigiert werden können, mussten ausgesprochen behutsam auf den Weg gebracht werden. So schwieg er.
Es wurde unversehens hell im Zimmer, und der plötzlich aus den Wolken herausgetretene Mond warf die harten Schatten der Hofbäume an die Wand.
Glücklicherweise beendete Jenny die unbequeme Pause, denn sie setzte unerwartet ihre Erzählung fort. »Lollo macht jedenfalls keinen Hehl aus seiner Polung. Seinen Andeutungen war schnell zu entnehmen, dass Robert überall jemanden zu kennen schien, mit dem er etwas angefangen hatte, und mit der Zeit musste ich annehmen, dass ihm dabei das Alter und Geschlecht eher egal waren.«
Stuhr fragte vorsichtig nach. »Und das hat dir nichts ausgemacht, Jenny?«
»Nichts ausgemacht? Ich bekam es mit der Angst zu tun und bin ihm aus dem Weg gegangen, wenn er in unserer Wohnung war. Irgendwann war ich es leid und bin ausgezogen. Das musst du mir glauben.«
Ins Gesicht konnte er Jenny in diesem Moment nicht sehen, weil der gleißende Mond nur noch die Silhouette ihres Kopfes preisgab. So sehr er den Anblick liebte, so wenig war es zu umgehen, weiter nach den sexuellen Vorlieben von Halbedel zu forschen, auch wenn es Jenny verletzen mochte. »Es geht vermutlich um eine Sexualstraftat am Wasserturm, vielleicht sogar um Mord. Hat dir Halbedel jemals Gewalt angetan?«
Jenny schien zu überlegen, in welchem Maß sie ihr Wissen preisgeben sollte.
Stuhr übernahm das Heft des Handelns und zog sie an sich heran. »Es bleibt doch unter uns beiden, Jenny. Hat Robert Halbedel dir jemals Gewalt angetan?«
Jenny schüttelte heftig den Kopf und begann zu stammeln. »Nein, ich wäre auch sofort weg gewesen, wenn…« Jenny hielt inne.
Stuhrs Herz klopfte, der erste Fingerzeig schien kurz bevorzustehen. So bohrte er nach. »Wenn?«
Jenny zögerte kurz, bevor sie antwortete. »Ich habe Handschellen gefunden.«
Da hätte Stuhr schon ein wenig mehr erwartet. Jenny bemerkte das und legte nach. »Und Peitschen, Lederriemen, Mundknebel, das ganze Sortiment. Wenn ich nicht zu Hause war, schien er es gerne härter zu mögen.«
Stuhr nickte nachdenklich. »Nicht bei dir zu Hause?«
Jenny wurde giftig. »Da war er lammfromm, Helge, genau wie du. Mann und Frau. Eins auf eins. Weiß ich denn, ob du nicht genau wie Halbedel ein zweites Leben führst? Vielleicht hast du immer noch Verbindung zu deinen ehemaligen Weibern? Ich habe dich nie danach befragt. Zeit hast du schließlich genug den ganzen Tag.«
Stuhr hob abwehrend beide Arme. »Jenny, ich versichere dir, nie würde ich…«
Jenny würgte ihn mit scharfer Stimme kurzerhand ab. »›Nie würde ich‹ hat auch Robert mir gegenüber immer wieder beteuert, bis ich seine Sex-Spielzeuge gefunden habe. Lollo ließ es sich nicht nehmen, mich in der Folge genüsslich über Roberts sexuelle Vorlieben aufzuklären. Mir hat das damals auf der Stelle gereicht. Ich habe sofort Schluss gemacht.«
Es erschien Stuhr
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