Friesenschnee
subjektiv. Er verschaffte sich Luft. »Ja, du warst für mich immer da. Aber für andere auch.«
Er hatte Jennys Groll unterschätzt, die jetzt wie eine Raubkatze auf ihn zugeschlichen kam. »So, so, Herr Stuhr. Für wen denn beispielsweise?«
Stuhr bemühte sich, nicht seine Linie zu verlieren. »Für diesen Robert Halbedel beispielsweise. Er kannte dich ja noch recht gut.«
Jenny wendete ihr Gesicht schlagartig von ihm fort. »Da war nichts, Helge, was zu erwähnen wäre. Wie kommst du nur darauf? Wieso teilst du einfach so gegen mich aus? Du musst dir schon etwas einfallen lassen, um diese Scharte auszuwetzen. Wie soll ich dir denn noch vertrauen? Bin ich etwa mit einem Hallodri zusammen, dem alles andere wichtiger ist als ich?«
Nein, natürlich war Jenny das Wichtigste für ihn, und ein Hallodri war er auch nicht. Aber Farbe bekennen sollte sie dennoch. »Du warst mit diesem Halbedel also nicht im Bett, richtig?«
Jenny drehte sich zu ihm zurück und sah ihn irritiert an. »Wieso nicht im Bett? Wir hatten eine Zeit lang eine Beziehung. Keine besonders glückliche, aber wir waren eben zusammen. Ein Vierteljahr vielleicht. Länger bestimmt nicht.«
Dieser Tritt in die Magengrube traf Stuhr keineswegs unerwartet, doch er hätte nicht gedacht, dass er so schmerzhaft sein würde. Er rang um seine Fassung, um ihr gegenüber nicht ungerecht zu werden, aber sein Resümee klang vermutlich eine Spur zu grimmig. »Also wart ihr doch zusammen in der Kiste.«
Jenny reagierte zunächst nicht, sondern begann erst nach einer kurzen Besinnungspause, ihn mit einem umfassenden Erklärungsversuch friedlicher zu stimmen. »Mein lieber Helge, bist du etwa ein Heiliger? Ich habe dich noch nie gefragt, mit wem du alles in diesem Bett genächtigt hast.«
Das war auch besser so, befand Stuhr. Sollte er jetzt lockerlassen? »Ihr habt also das Bett geteilt, richtig?«
Jennys Stimme klang jetzt entspannter. »Sicherlich, mit Robert habe ich seinerzeit für kurze Zeit das Bett geteilt, aber es war vermutlich nicht so, wie du dir das in deinen schlimmsten Vorstellungen vielleicht ausmalen magst. Ich bin ein anständiges Mädchen.«
Nun, ein Mädchen war sie beileibe nicht mehr, sondern eine begehrenswerte Frau. Vorstellen wollte sich Stuhr bei diesem Schmierlappen Halbedel mit seiner Jenny lieber nichts.
Zum Glück begann Jenny nun, sich mühselig von ihrem Kleid zu befreien, um es entgegen ihren üblichen Gewohnheiten liederlich auf den Eckstuhl zu werfen. Dann kuschelte sie sich in die Decke des Bettes ein, das sie eben noch verteufelt hatte.
Frauen, schoss es Stuhr durch den Kopf.
Doch insgesamt wirkte sie nun friedlicher, und irgendwann drehte sie sich sogar mitsamt dem Bettzeug zu seinem Schlafzimmerfenster hin, um dem stärker werdenden Prasseln des Regens auf dem Blechdach im Hof zu lauschen.
Wie oft hatten sie schon, eng zusammengekuschelt, das Weinen des Himmels genossen? Leise zog Stuhr Socken, Hemd und Hose aus und überlegte fieberhaft, wie er sich vorsichtig an ihren begehrenswerten Körper schmiegen konnte, ohne Gegenwehr zu erzeugen. Bevor er jedoch beim Hineingleiten in das Bett auch nur eine Hand an sie legen konnte, begann sie ihn heftig abzuwehren.
»Nicht jetzt, Helge. Kannst du meine Gefühle nicht respektieren? Hast du keinerlei Anstand mehr?«
Hatte er eigentlich, aber das Geplänkel der letzten Stunden hatte ihn mürbe gemacht. Er wollte nur noch, wie sonst immer, bei ihr zur Ruhe kommen.
Der Regen ließ wieder nach, und in die eintretende Stille begann sie unerwartet zu erzählen. »Du musst wissen, mit dem Robert, da war nicht viel. Ich wusste nie, wo er herkam und wohin er ging. Wenn er auf Gastspielreise unterwegs war, habe ich manchmal tagelang nichts von ihm gehört. Jedenfalls nicht am Telefon, aus den Andeutungen meiner Schauspielkollegen schon. Vor allem Lothar gegenüber hat Robert vieles ausgeplaudert, obwohl der wusste, dass wir liiert waren.«
Einen Lothar kannte Stuhr bisher nicht. Seine Hand glitt unter die Bettdecke. Er versuchte, wenigstens den kleinen Finger von Jenny zu fassen zu bekommen. »Lothar? Wer soll denn das sein?«
Jenny hatte ihre Hände jedoch inzwischen auf der Fensterseite des Bettes in Sicherheit gebracht. »Lothar? Das ist der Chef unserer Theatertruppe, du weißt schon, den du vorhin als Frauenzimmer bezeichnet hast. Die weiblichen Anteile überwiegen bei ihm. Er liebt es, sich als Dame zu kleiden, und sein Vorname war ihm zu profan. Deswegen lässt er sich
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